Espresso Juni 2021
Verkehrsanbindung. Der öffentliche Nahverkehr wird statistisch gesehen häufiger von Frauen benutzt. Hier hatte ich ein gutes Beispiel. Ich habe nahe der Autobahnausfahrt Nord gewohnt und im Süden Ingolstadts gearbeitet. Obwohl die Luftlinien-Entfernung ca. 3 km entsprach, war die Anbindung mit den öffentlichen Verkehrsmitteln eine Odyssee durch die gesamte Stadt. Der Grund dafür ist unser zentral ausgerichtetes Netz der Infrastruktur. Egal, wohin wir wollen, müssen wir meist erst in den Stadtkern, um von dort aus in die gewünschte Richtung weiterzufahren. Dies könnte man verbessern, indemman mehr vertika- le und horizontale Knotenpunkte einrichtet. Seid ihr nach dem Auftritt mit der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt in Verbindung geblieben? Habt ihr das Gefühl, dass eure Anlie- gen gehört wurden und werden? NICO & SONSI: Das sind wir tatsächlich bis heute. Die anschließende Diskussion und das Interesse der Gleichstellungsstelle in Ingolstadt hat gezeigt, dass es wichtig ist, auf eine konstruk- tive Art undWeise über Gleichberechtigung zu sprechen. In den seltensten Fällen unterstellen wir den Entscheidungsträgern „böse“ Absichten. Meistens werden Entscheidungen aus Unwis- senheit darüber getroffen, ob oder inwiefern sie diskriminierend sind. Daher ist es für uns weiter- hin wichtig, die Themen anzusprechen, aber auch mögliche Lösungen zu diskutieren. Wie reagieren Fremde auf euch, wenn ihr das erste Mal erzählt, dass ihr Feministinnen seid? NICO: Der Ruf einer männerhassenden, allein- lebenden und unrasierten Feministin scheint sich mittlerweile zu ändern (lacht). Das F-Wort schreckt bedauerlicherweise immer noch ab, aber im Endeffekt geht es uns umGleichberechtigung. Die Frage ist daher: Bist du für Gleichberechti- gung? Dann bist du auch ein*e Feminist*in. Die Bezeichnung dafür ist nicht wichtig, es ist der Weg dahin und letztendlich das Ergebnis, das zählt. Engagiert ihr euch auch abseits des Podcasts für den Feminismus? SONSI: Bei der Initiative „It’s just Feminism“ ma- chen wir auch mit. Durch die feministische Woche 2021 sind wir in Kontakt mit anderen feministi- schen Organisationen und Initiativen gekommen. Diese Vernetzung und Zusammenarbeit soll auch in Zukunft mit Leben gefüllt werden, sofern sich die COVID-Situation verbessert. In Ingolstadt habe ich mit noch zwei anderen Frauen „Catcalls Of Ingolstadt“ gegründet, eine Aktion gegen Stra- ßenbelästigung. Auch mit den Feminist*innen in Eichstätt „GemEInsam gegen Sexismus“ sind wir vernetzt. Ansonsten haben wir unsere monatliche Kolumne imMagazin „Citicon“. Ich persönlich bin auch in der Arbeit sehr aktiv, unter anderem als Kernteammitglied verschiedener Mitarbeitenden- netzwerke wie „queer@audi“ und „dads@audi“. Auf diese Weise leiste ich meinen Beitrag für Vielfalt in der Firma und darüber hinaus. Welche Bücher oder Filme wür- det ihr empfehlen, um in das Thema einzusteigen? Welche Bücher oder Filme oder auch Persönlichkei- ten haben euch selbst geprägt? SONSI: Pink Sari Revolution von Amana Fonta- nella-Khan war unser erstes gemeinsam gelesenes Buch und war die Inspiration unseres ersten Podcasts. Wenn Männer mir die Welt erklären von Rebecca Solnit und Unsichtbare Frauen von Caroline Criado-Perez sind sehr gut, aber der beste Einstieg wäre We Should All Be Feminists von Chimamanda Ngozi Adichie, das gibt es auch als TED-Talk-Video. Zu Filmempfehlungen, oder eher Serien, sind wir froh, dass die Gender-Perspektive immer präsenter imMainstream ist. Es gibt neue Superheldinnen wie Jessica Jones oder klassiche Modelle wie Wonderwoman, die wieder aktuell werden, und sogar bei The Queens Gambit oder Cable Girls gibt es starke Noten von Feminismus. Würdet ihr euch wünschen, dass sich noch mehr Prominente bzw. Menschen mit einer großen Reichweite für den Feminismus stark machen? NICO: Das tun doch viele Politiker*innen vor demWahlkampf (lacht). Spaß beiseite: Es gibt bereits viele Prominente auf der ganzenWelt, die sich aktiv dafür einsetzen und diese Zahl ist stei- gend. Diversität gehört zu einer nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Gesellschaft dazu, das belegen auch zahlreiche Statistiken und Studien. Was wir uns wünschen, ist weiterhin die Offenheit, so wie hier in diesem Interview, darüber zu sprechen. Ein offener Austausch sorgt dafür, dass viele Vorurteile und Missverständnisse beseitigt werden können. Manch ein Unternehmen nutzt Be- griffe wie Empowerment, um damit Geld zu machen. Wie steht ihr zu der Kommerzialisierung des Feminismus – ist sie trotz der schlechten Intention hilfreich für die Bewegung oder schadet sie ihr im Endeffekt nur? NICO: Offensichtlich sind wir keine Fans von Pinkwashing oder Ähnlichem. Allerdings sind wir auch nicht realitätsfern. Wenn das der Beitrag zu einer gleichberechtigten Gesellschaft ist, dann können wir das nur befürworten. Wichtig hierbei ist es, Diversität und Gleichberechtigung auf allen Ebenen zu schaffen und nicht nur auf den Chefetagen. Daher wissen wir den Anstoß zur Debatte zu schätzen, manchmal ist das, was es verursacht, wichtiger als das, was dahintersteht. Deutschland ist ein Land, in dem die Gleichberechtigung – zumin- dest vor dem Gesetz – sehr weit vorangeschritten ist. In vielen ande- ren Ländern werden Frauen aber als minderwertig betrachtet und unterdrückt. Was glaubt ihr, werden wir irgend- wann in einer Welt leben, in der Mann und Frau absolut gleichwertig behandelt werden und Sexismus kein Thema mehr ist? NICO & SONSI: Gleichberechtigung ist für uns keine Glaubensfrage. Gleichberechtigung ist das Resultat einer gemeinsamen Anstrengung. Offensichtlich können diese Anstrengungen nicht nur von Frauen unternommen werden, sondern von der gesamten Gesellschaft. Daher hoffen wir, dass ihr auch mit anderen Interviewpartnern über genau diese Frage sprecht. In der Zwischenzeit be- mühen wir uns weiterhin um unseren Beitrag dazu. Nico und Sonsi, vielen Dank für das Gespräch. 16 PEOPLE INSPIRATION „ We should All be Feminists“ ist ein Werk über den mo- dernen Feminismus des 21. Jahrhun- derts. Nico und Sonsi empfehlen es als Einstieg in das Thema. WÜRDEST DU DASSELBE EINENMANN AUF GENAU DIESEWEISE FRAGEN? WENN DIE ANTWORT „NEIN“ IST, DANNWAR DAS SEHRWAHR- SCHEINLICH SEXISTISCH “
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