espresso - August 2021

18 PEOPLE dass oft den Vätern nicht vertraut wird, dass sie es hinbekommen oder dass die Art und Weise, wie die Väter es tun, der Mami einfach nicht gefällt. Daher heißt es dann einfach, er könne es nicht. Da meine Frau mir vertraut und mich es auf meine Art machen lässt, habe ich hier nie belehrende Kommentare oder ähnliches erlebt. Durch die Zeit alleine mit dem zweiten Sohn konnte ich meinenWeg ausprobieren und dadurch finden. Genau wie jede Mama das mit ihrem Kind auch tun muss. Vorurteile gibt es genug. Ich bin anfangs im Supermarkt nicht bedient worden, weil die Verkäufer*innen davon ausgingen, ich würde nur denWagen für die Frau vor mir schieben. Und bei der Kita musste ich vier Mal nachfragen, bis ich endlich in den Verteiler aufgenommen wurde. Aber da muss man drüberstehen. Ich würde die Entscheidung wieder so treffen und dies auch jedem anderen Vater raten. Die Zeit zuhause mit seinem Kind kommt nicht zurück. Viele Väter wissen oft leider gar nicht, welch grandiose Zeit sie mit den Kids verpassen. ESPRESSO: Kam bei dir auch mal die Angst auf, wegen der Auszeit könnten später im Beruf Nachteile auf dich zukommen? PHILIPP: Ich bin nicht der ängstliche Typ. Mir war aber sehr wohl bewusst, dass es ziemlich sicher Folgen für meinenWeg haben wird. Auch weil es in der Hierarchie wenige Männer mit längerer Auszeit vom Job gibt, sondern meist die Frau daheim bei den Kindern die Karriere des Mannes ermöglicht hat. Dadurch gibt es keine Vorstellungskraft, dass man durchaus beides gut, mit hoher Motivation und exzellenten Ergebnissen unter einen Hut bringen kann. Auch wenn ich beruflich Einbußen hinnehmen muss, bereue ich meine Entscheidung deswegen aber in keinem Fall, denn es muss immer ein guter Mittelweg zwischen Privatem und Beruflichem vorliegen, um ein zufriedener Mensch zu sein. ESPRESSO: Wie wird es nach deiner Elternzeit weitergehen? Kannst du dir jetzt überhaupt noch vorstellen, wieder in Vollzeit arbeiten zu gehen? PHILIPP: Nach den zehn Monaten Elternzeit freue ich mich jetzt schon, meine Energie und mein Wissen nach den vollen 14 Monaten wieder auf Arbeit einbringen zu können. Nachdem ich mich die ersten Monate daheim in steiler Lernkurve befand, flacht diese irgendwann ab und man wendet das neue Erziehungswissen „nur“ noch an. Die Erlebnisse und Gefühle, die man einsammelt, sind unbeschreiblich schön und stärken einen ungemein, aber irgendwann, wenn die Routine einsetzt, fehlt etwas. Ich möchte einfach jeden Tag etwas dazulernen und bewegen. Ich kann mir Vollzeit wieder vorstellen, möchte aber auf jeden Fall die Erziehungsarbeit fair mit meiner Frau aufteilen. Daher werde ich wohl anfangs mit reduzierter Arbeitszeit wieder einsteigen. So kann das Zusammenleben mit meiner Frau und den Kinder auf Augenhöhe gestaltet werden. ESPRESSO: Was war und ist für dich das Schönste an der Zeit zuhause mit den Kindern? PHILIPP: So unzählig viele unbeschreiblich traumhaft schöne Momente mit meinen Kindern gehabt zu haben, an die ich mein Leben lang zurückdenken werde. Und alles richtig gemacht zu haben mit der Entscheidung, daheim bei den Kindern geblieben zu sein. Selbst das ansonsten so trübe Corona-Thema, das allen, ganz besonders Eltern, viel abverlangt hat, kann das nicht trüben. ESPRESSO: Kindererziehung kann auch ganz schön stressig sein. Gab es mal Momente, in denen du dir gewünscht hast, lieber im Büro zu sitzen? PHILIPP: Wenn ich ehrlich bin, nein. Klar, es ist als Hausmann und mit den Kids stressig, aber hier habe ich keinen Druck wie auf Arbeit. Was passiert denn, wenn ich es heute mal nicht schaffe zum Einkaufen, weil sich gerade Kind eins mit dem Messer geschnitten hat? Nichts, es gibt halt zur Not nur Nudeln mit Ketchup oder Reis aus dem Vorratsschrank. Wenn ich auf Arbeit Termine nicht halten kann, wäre das schon schlimmer, denn dort hängen viel mehr Menschen von meiner Arbeit ab. ESPRESSO: Wie hast du dich in der El- ternzeit abseits vom Job persönlich weiterentwickelt bzw. verändert? PHILIPP: Ich interessiere mich viel mehr für Chancengleichheit als vorher. Erwachsene geben Kindern viele vorgefertigte Rollen und Einstellun- gen mit, die es den nachfolgenden Generationen schwer machen auszubrechen. Es gibt für viele nur ihr Modell oder keines. Andere Herangehensweisen werden oft verurteilt. Ich finde das schlimm und versuche hier aufzuklären und zu ermuntern, dass jeder das für sich passende Modell wählt und findet. Außerdem habe ich für mich Social Media entdeckt, um etwas von den Erfahrungen zu berichten und andere zu ermuntern, dass es auch anders geht. Was aber nicht heißt, dass meineWelt rosarot ist. (lacht) ESPRESSO: Jasmina, hast du dei- nen Mann durch die neue Rollen- verteilung neu kennengelernt? JASMINA : Ich habe nie gezweifelt, dass diese Konstellation gut sein wird. Mir war schon immer klar, dass Philipp ein guter Vater ist. Philipp, kannst du dir erklären, warum in den meisten Familien immer noch die traditionelle Rollenverteilung vor- herrscht? Dafür gibt es sicherlich unterschiedlichste Gründe. Die bestimmt auch oft inein- ander greifen. Wichtige Punkte sind auf jeden Fall: 1. Viele denken gar nicht daran, dass es anders möglich ist. Und klar gibt es Paare, da ist es finanziell wohl nicht möglich. Aber selbst wo es möglich ist, wählen aus meinen Erfahrungen des letzten Jahres die Paare „leider“ fast immer ein Modell, bei dem der Mann höchstens 2 Monate Elternzeit nimmt. Hier fehlen meiner Meinung nach Vorbilder, die aufzeigen, dass es auch anders geht. Vätern wird es meiner Meinung nach zu selten zugetraut, das mit den Kindern alleine hinzubekom- men, weil das gesellschaftlich zu selten sichtbar ist. 2. Außerdem habe ich das Gefühl, dass Mamis gerne auch die 12 Monate „co- zy-time“ mit ihrem Nachwuchs genießen, ohne auf Arbeit zu müssen. Das meine ich jetzt nicht negativ, aber dann bleiben dem Vater halt nur 2 Monate bezahlte Eltern- zeit über. Hier könnten die Väter mehr einfordern, immerhin sind ja meistens bei- de gleichberechtigte Erziehungspartner. 3. Das traditionelle Modell hat ja durchaus Vorteile wie z.B. klare Aufgabenvertei- lungen. Dadurch ist einiges einfacher und zusätzlicher Kommunikationsaufwand fällt so gut wie weg. 4. Finanzielle Gründe. Oft schauen Paare eher, wie sie ammeisten Geld mit ihren Entscheidungen in naher Zukunft bekom- men, anstatt darauf zu achten, was beiden emotional und als Familie langfristig finanziell gut tut. 5. Die Sozialisierung unserer Kinder fängt leider oft schon mit diesem klassischen Modell an, indemwir Mädchen Puppen schenken und Jungs eher Abenteu- er-Spielzeug. Hier ist schon die erste Erfahrung der Kinder in diese Bahnen gelenkt. Warum nicht frei vomGe- schlecht Spielzeug schenken? Mädels haben bestimmt genauso viel Spaß an demGedanken, Raumfahrerin zu werden. Und warum zeigt man eher Mädchen, wie es ist, sich um ein Kind zu kümmern und Jungs in der Regel gar nicht? Hier haben Männer für später ein Defizit inWissen und Selbstvertrauen rund um das Thema Kind und Erziehung.

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