espresso - September 2021

26 „Papa, was heißt ein Hobby haben?“ „Zu viel Zeit haben.“ Das hat Papa gemurmelt, als ich ihn gefragt habe. Es ist lustig, wie er oft leise etwas vor sich hin sagt. Als würde ich ihn nicht verste- hen. Anfänger. Gut, bin ja auch sein erstes Kind. „Was?“ „Das heißt 'Wie bitte', Schatz.“ „Was hast du gesagt?“ „Nichts, Schatz.“ „Also, Papa, was ist denn nun ein Hobby?“ „Ein Hobby ist etwas, das man gerne tut. Etwas, an dem man Spaß hat und wofür man gerne seine Zeit opfert. Wieso fragst du?“ Papa schaut immer ganz misstrauisch, wenn ich solche Fragen stelle. Als hätte ich etwas Böses im Sinn. Habe ich aber eigentlich gar nicht. Also dieses Mal nicht. Manchmal schon. Jetzt bin ich einfach nur neugierig. „Darum, Papa“ , sage ich und strecke ihm die Zunge raus. Er macht mich nach. „Papa, wieso streckst du mir die Zunge heraus? Das darf man doch nicht, sagst du immer“ , erinnere ich ihn. Mein Papa ist immer so vergesslich, immer muss ich ihm sagen, wie und was man macht. „Habt ihr im Kindergarten darüber geredet, Schatz?“ Mensch, der Mann ist so klug. Wie er nur darauf gekommen ist. EinWahnsinn. Ich bin jedes Mal aufs Neue beeindruckt, dieser messerscharfe Verstand. „Ja, haben wir“, sage ich beiläufig und gehe zu meinem Puppenhaus. Ich weiß genau, was Papa machen wird. „Und, was hast du gesagt, Schatz?“ „Hm?“ „Ich meine“ , sagt er, schnauft und flüstert dann sanft „was sind deine Hobbys?“ „Oh, na was ich gerne mache eben. Puppenhaus spielen, Schwimmen gehen, Rad fahren, Fußball spie- len.“ Ich höre, wie er ganz langsam durchatmet. „Sonst nichts.“ „Naja, Papa. Du weißt doch, dass ich gerne auch Fernsehen schaue und am iPad bin. Aber das habe ich nicht gesagt.“ Er seuftz. „Aber ich habe gesagt, was deine und Mamas Hobbys sind.“ „Wie?“ „Es heißt 'Wie bitte', Papa.“ „Wie bitte, Schatz?“ „Na, ich habe gesagt, dass ihr gerne am Abend Süßigkeiten esst.“ „Woher weißt du das?“ „Na, weil ich immer die Chipspackung am nächsten Morgen sehe, Papa.“ „Okay. Naja, das ist ja nichts Schlimmes.“ „Darf ich dann heute Abend auch etwas Süßes essen?“ „Nein.“ „Aber Papa!“ „Okay, wenn du gut isst, gibt es ein Eis.“ „Muss ich aufessen?“ „Nein, wenn du gut isst. Du sollst essen bis du satt bist, nicht bis dir schlecht ist.“ Ich weiß einfach, wie ich ihn um den Finger wickeln kann. Natürlich habe ich nichts von den Süßigkeiten gesagt. Ich habe ganz andere Dinge im Kindergarten erzählt. Zum Beispiel, dass Mama und Papa gerne samstags auch Mittags- schlaf machen. Ohne Unterhose. Weiß gar nicht, was das soll. Ich darf das nie machen. Aber so sind Erwachsene wohl. Komische Menschen. Manchmal verstehe ich sie nicht. Wenn ich nur wüsste, was sie sich manchmal denken, wenn sie so etwas tun. „Papa, was sind deine Hobbys?“ „Oh, Schatz. Als ich so alt war wie du, habe ich auch gerne Fußball gespielt.“ „Und sonst nichts mehr?“ „Naja, ein iPad gab es damals noch nicht. Aber ich war sehr gerne draußen. Und da habe ich einfach nur Fußball gespielt.“ „ Aber wieso machst du das heute nicht mehr?“ „Weißt du, Schatz, Hobbys haben auch etwas mit dem Alter zu tun. Da muss man unterteilen.“ „Was heißt unterteilen?“ „Naja, schau mal. Wenn du so alt bist wie ich, wirst du nicht mehr Puppen- haus spielen wollen.“ „Bestimmt.“ „Und schau, dann verkaufst du dein Puppen- haus und kaufst dir dafür etwas anderes.“ „Zum Beispiel ein Bücherregal.“ „Bücherregal?“ „Na, Papa. Ich kann doch dann lesen.“ „Stimmt. Siehst du, Hobbys ändern sich im Alter.“ „Also spielst du nicht mehr Fußball.“ „Na, nur mit dir.“ „Und sonst machst du auch keinen Sport“ , sage ich und trommle ihm auf dem Bauch herum. Das mag er nicht. „Hey! Aber ja, du hast recht.“ „Machen Men- schen in eurem Alter keinen Sport mehr?“ „Doch.“ „Aber?“ „Die meisten müssen sich dann gleich komplett ausrüsten, und ich bezweifle, dass ich mit den Oberschenkeln in eine Rad- lerhose passen würde.“ „Was, Papa?“ „Ööööh, nichts.“ „Also machst du keinen Sport?“ „Nein, Schatz. Weil man seine Hobbys in seiner Freizeit macht. Und ich mache lieber etwas anderes als Sport.“ „Chips essen zum Beispiel.“ „Genau.“ Daher hat er ja auch diesen Bauch und diese Oberschenkel. Irgendwie schaut er ganz beläm- mert drein, dieser alte Mann. Ich kuschle mich an ihn und kneife ihm kurz in die Hand. „Weißt du was, Papa.“ „Was denn?“ „Wenn ich groß bin, dann werde ich trotzdem noch deine Chipspa- ckung aufräumen.“ „Du bist lieb, Schatz.“ „Und?“ „Was und?“ „Und, was ist denn jetzt dein Hobby?“ „D u.“ Z E I T N E HM E N U N D G E B E N Der vorgestellte Text stammt aus Kevin Reichelts Buch „Die kleinen Dinge“, in dem er auf humorvolle Wei- se aus der Sicht seines Kindes von den Wirren und vom Glück des Vaterseins erzählt. Erschienen im bp-Verlag. Instagram: @kevin_reichelt ISBN 978-3-944000-29-9 KULTUR Kevin Reichelt ist Poetry Slammer, Moderator, Buchautor und Texter aus Leidenschaft. In unserer neuen Rubrik stellen wir ausgewählte Texte von ihm vor Lu st auf mehr? Weitere Texte gibt's hier STORYTIM MIT KEVIN REICHELT Das Foto von Kevin Reichelt schoss die Ingolstädter Fotografin GERMAINE NASSAL bei Reichelts Poetry-Slam-Auftritt auf den diesjährigen Ingolstädter Picknicknächten. Für Shoo- ting-Anfragen einfach über Instagram Kontakt aufneh- men: @germainenassal

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