espresso - September 2021

POLITIK Herr Brandl, Sie führen seit 12 Jahren ein Leben zwischen Berlin und Eitensheim. Fühlt sich dieses Leben so an, wie Sie es sich vorgestellt hatten? Ehrlich gesagt ging damals bei meiner ersten Wahl 2009 alles sehr schnell. Ich hatte nur wenige Wochen Zeit zu überlegen, ob ich tatsächlich antreten würde. Eine konkrete Vorstellung hatte ich mir daher gar nicht gemacht. Es ist auch schwer, sich die Arbeit eines Bundestagsabgeordneten von außen vorzustellen. Überrascht hat mich, dass der Job so vielseitig ist. Ein typischer Tag sieht bei mir so aus: In einemMoment geht es um eine Lärm- schutzwand, der nächste Termin ist zu Afghanistan, dann geht es um eine Krankenhausfinanzierung und am Schluss bin ich noch an der Technischen Hochschule für ein Forschungsprojekt. Das ist eine Herausforderung, weil man sehr viele komplett unterschiedliche Themenfelder zu bearbeiten hat. Politiker ist eben kein 9-to-5-Job, sondern ein Leben, auf das man sich einlassen muss. Aber darin liegt für mich auch der Reiz. Können Sie sich noch an das Gefühl erinnern, als Sie am 27. September 2009 zum ersten Mal in den Bundestag gewählt wurden? Das war pure Erleichterung. Ich bin ja damals einfach ins kalte Wasser gesprungen, ohne genau zu wissen, was auf mich zukommen würde. DerWahlkampf hat mir viel Kraft abverlangt. In dieser Dimension habe ich das zum erstenMal gemacht. Man trifft auf so viele neue Leute, die Bürgermeister und Behördenleiter kannten mich noch nicht, überall war ich ein weißes unbeschriebenes Blatt und so war ich unter per- manenter Anspannung. Ich weiß noch, zwei Tage nach derWahl waren wir auf einemEmpfang bei der Deutschen Bischofskonferenz, wo wir als neu gewählte Abgeordnete empfangen wurden. Ich saß auf einem sehr weichen bequemen Stuhl. In diesem Moment hatte ich zum erstenMal das Gefühl, dass die ganze Anspannung der letztenWochen auf einmal von mir abfällt. Und ich habe noch auf dem Stuhl gemerkt, wie mein Körper alles herunterfährt und ich krank werde. (lacht) Sie sind 1993 mit 16 Jahren der JU beigetreten, der Beginn Ihrer politischen Karriere. Was war damals für Sie der ausschlaggebende Grund, in die Politik zu gehen? Als ich 16 war, war das große Thema in meinemHeimatort Eitensheim die Umgehungsstraße. Wir hatten damals noch keine Umgehungsstraße so wie heute, sondern vor mei- nemZimmerfenster sind jeden Tag 11.000 Autos vorbeigefahren. Wir als junge Generation wollten, dass der Gemeinderat das Thema schneller angeht. Das war unter anderem ein Auslöser dafür, dass wir die Junge Union in Eitensheim gegründet haben. Als eines unserer ersten Projekte haben wir ein Modell für die Unterführung gebastelt, die imZuge der neuen Umgehungsstraße gebaut werden sollte. Dafür haben wir Dachlatten, Silofolie und Europa- letten verwendet und unser Modell auf demKirch- platz präsentiert. So konnten die Eitensheimer testen, ob ihnen die Unterführung groß genug wäre, indem sie mit ihremBulldog oder Radel durchfah- ren konnten. Das hat schließlich den Prozess hin zumBau der Umgehungsstraße beschleunigt. Ein paar Jahre später ist sie dann tatsächlich gebaut worden. Dieser Moment war für mich ein Schlüsse- lerlebnis. Ich hatte damals als 16-Jähriger schon das Gefühl, dass man mit guten Ideen, Engagement und konstruktiver Mitarbeit durchaus politisch etwas für den Ort, in demman lebt, bewegen kann. Im Laufe der Zeit habe ich dann erkannt, dass die CSU meine politische Heimat ist und mich dann ein paar Jahre später für die CSU entschieden. Hatten Sie damals politische Vorbilder? Ich fand als junger Mensch Edmund Stoiber gut. Er hat mit seiner High-Tech-Offensive und der gezielten Förderung vonWissenschaft und Forschung den Grundstein für das moderne Bayern gelegt. In Ingolstadt hat diese Politik zumBeispiel zur Grün- dung der Fachhochschule geführt. Ein Erbe, das Sie jetzt weiterführen. Unser Wohlstand heute basiert auf Entscheidungen der Vergangenheit. Man sollte jetzt aber auch nicht die Vergangenheit anbeten und verklären, sondern lie- ber darauf schauen, welche Chancen in der Zukunft liegen. Da gibt es viele Bereiche und ich versuche meinen Teil dazu beizutragen, dass die Region Ingolstadt gut positioniert ist. Wie hat sich Deutschland Ihrer Meinung nach in den Jahren, in denen Sie imAmt sind, verändert? Die letzten 12 Jahre waren geprägt von aufeinander- folgenden Krisen. Begonnen hat es mit der Finanz- krise, dann kamen dieWirtschafts- und die Eurokri- se. Danach die Ukraine-Krise, die Flüchtlingskrise, die Klimakrise und zum Schluss die Corona-Krise. Meine gesamte Amtszeit war geprägt von einem permanenten Krisenmodus. Ich finde aber, dass sich unser Land trotz dieser Krisen gut entwickelt hat. Bis zur Corona-Pandemie haben wir eine gute wirtschaftliche Entwicklung genommen. Deutschland ist sozialer geworden, technologisch weiterentwickelt. Es geht natürlich immer besser, aber in Summe bin ich trotz der schwierigen Um- stände zufrieden. Die Corona-Krise stellt natürlich imMoment wieder alles auf den Kopf. Ist die Corona-Pandemie die größte Krise in Ihrer Amtszeit? Nicht nur das. Es ist die größte Krise für unser Land seit demZweitenWeltkrieg. Es ist uns aber gelungen, das Gesundheitssystem und die Normalversorgung aufrecht zu erhalten. Und auch die meisten Arbeitsplätze sind uns trotz der Einschränkungen erhalten geblieben. Wir werden sicher in den nächsten Jahren noch die Konsequen- zen spüren, aber imGroßen und Ganzen, wenn man bedenkt, vor welch großer Herausforderung unser Land stand, sind wir vergleichsweise gut durchgekommen. Eine Institutionenkrise wie zum Beispiel in Frankreich ist uns erspart geblieben. Lassen Sie uns einen Blick auf Ingolstadt werfen. Auf welche Erfolge für Ingolstadt in Ihrer Zeit als MdB sind Sie besonders stolz? In den letzten Jahren ist es gelungen, die Anzahl der ICE-Halte in Ingolstadt um ca. 20 Prozent zu steigern und in Brunnen und bei der AUDI jeweils einen neuen Bahnhalt einzurichten. Ein weiterer Erfolg ist die Förderung des Zweiten Grünrings. Letztendlich werden 90 Prozent der Kosten für den Rosengar- ten in Oberhaunstadt, für denMax-Emanuel-Park in Etting und für das Lohenprogramm im Süden der Stadt vomBund übernommen. Weitere Erfolge waren die Förderung der Sanierung des Georgia- nums durch den Bund, der Ausbau der Technischen Hochschule, insbesondere auch mit dem Standort in Neuburg, und dass es uns mit der „Urban Air Mobility“-Initiative gelungen ist, zivile Luftfahrt in die Region zu holen. Welche Pläne haben Sie noch für Ingolstadt? Mein großes Ziel ist es, unsere Region in einer Phase der Transformation begleiten zu dürfen. Das wird eine der größten Herausforderungen der letz- ten Jahrzehnte. Die Automobilindustrie befindet sich imUmbruch, ebensoMedia-Saturn als großer Arbeitgeber, Airbus, die Raffinerien – alles, was uns in der Region in den letzten Jahren stark gemacht hat, verändert sich gerade. Ich sehe es als eine Meine gesamte Amtszeit war geprägt von einem permanenten Krisenmodus Alles, was uns in der Region in den letzten Jahren stark gemacht hat, verändert sich gerade “ “ 47

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