espresso - Oktober 2021
LEBEN 48 zu wahren, ein respektvoller Umgang und das Miteinbeziehen der Gebärenden in sämtliche Entscheidungen. ESPRESSO: Welche verschiedenen Geburts- arten bietet ihr im Ingolstädter Klinikum an? MARIA: Natürlich haben die Frauen die Möglichkeit, die Gebärposition frei zu wählen. Gerne helfen wir der Gebären- den, die richtige Position zu finden. Wir haben Matten, Gebärhocker, Pezzibälle, Sei- le zum Festhalten und zwei große Badewannen für Entspannungsbäder oder Wassergeburten. Wir arbeiten außerdemmit Aromathera- pie, haben verschiedene Massageöle z.B. zur Wehenanregung oder zur Regulation der Wehen. Einige Kolleginnen haben Fortbil- dungen in Akupunktur, Homöopathie oder in der Anwendung von Kinesiotaping. Wenn notwendig, ist es möglich zu jeder Tages- und Nachtzeit einen Kaiserschnitt durchzuführen. Da wir ein Level 1 Kranken- haus sind, stehen rund um die Uhr Fachärzte aus den Bereichen Gynäkologie, Pädiatrie und Anästhesie bereit. So können wir bei Notfällen schnellstmöglich reagieren und Mutter und Kind sind optimal versorgt. ESPRESSO: Worauf sollte man in den Tagen und Wochen nach der Geburt unbedingt achten? MAXI: Ruhe, Schonung und das Wochen- bett. Sich umsorgen lassen und erst einmal langsam als Familie ankommen. Die ersten 14 Tage sollte man zu Hause bleiben, viel liegen und versuchen, sich so gut es geht zu erholen. Man sollte wenig bis keinen Besuch haben. Im Idealfall hat man eine Hebamme für die Wochenbettbetreuung. Diese steht einem die erstenWochen nach der Geburt zur Seite und kontrolliert, ob alles physiologisch verläuft. Die erstenWochen nach der Geburt sind eine so besondere Zeit. Es ist sehr scha- de, dass bei sehr vielen Familien nach ein paar Tagen der Alltag wieder einkehrt. ESPRESSO: Die Wochenbettdepression betrifft nach der Geburt 15% aller Mütter. Wie geht ihr als Hebammen damit um? MARIA: Oft ist es sehr schwer, eine Wo- chenbettdepression zu erkennen. Es gibt einen Selbsttest von Licht & Schatten e.V. den man machen kann, wenn man vermutet, dass man an einer Wochenbettddepressi- on leidet. Als Hebamme verweise ich dann an Fachkräfte wie Psycholog*innen. ESPRESSO: Vieles, was während einer Geburt passiert, wird tabuisiert, man spricht nicht darüber. Was sollte eurer Meinung nach Jede*r über die Geburt wissen, was zu wenig oder nie besprochen wird? JOHANNA: Ein Tabu ist, dass es durch- aus Gewalt in der Geburtshilfe gibt. Das kann körperlich sein, aber auch psychischer Druck, der auf die Frauen ausgeübt wird. Die Frauen sollen selbstbestimmt und eigenverantwortlich gebären dürfen. Hierfür brauchen sie viel Aufklärung im Vorfeld. Es ist wichtig, dass die werdenden El- tern in alle Entscheidungen miteinbezo- gen werden. Uns liegt sehr am Herzen, dass die Familien einen schönen Start in das neue Leben haben, denn es ist nicht egal, wie wir geboren werden. ESPRESSO: Welche typischen My- then über die Geburt würdet ihr gerne einmal richtigstellen? MARIA: Im Film läuft es immer gleich ab. Die Blase springt, Panik bricht aus, sofort setzen Wehen ein und wenige Minuten später wird das Kind geboren. Mit der Realität hat das wenig zu tun. ESPRESSO: Wie hat die Corona-Pan- demie euere Arbeit verändert? MAXI : Dass wir als medizinisches Personal mit Maske arbeiten müssen, war die ers- ten Tage schon sehr ungewohnt. Aber wir haben uns schnell damit zurecht gefunden. Im ersten Lockdown war es schon sehr schlimm, dass die Frauen keinen Besuch haben durften. Da mussten wir Hebammen und auch die Schwestern auf der Station sicherlich viele Tränen trocknen. Zum Glück hat sich das aber ja deutlich entspannt. Ansonsten geht es uns wahrscheinlich wie dem Rest der Bevölkerung. Man hat sich an viele neue Regeln und Richtlinien sehr schnell gewöhnt und damit zu leben gelernt. ESPRESSO: Die Zahl der Hebammen in Deutschland nimmt ab. Woran liegt das und glaubt ihr, dass man den Ab- wärtstrend noch aufhalten kann? MARIA: Dass die Zahl der Hebammen stetig abnimmt, hat viele Gründe. Der Hauptgrund ist wohl die schlechte Bezahlung bzw. die hohen Ausgaben, die man als freiberufli- che Hebamme leisten muss. Aber auch die schlechten Arbeitsbedingungen, unter denen angestellte Hebammen arbeiten müssen. Man könnte den Abwärtstrend mit Si- cherheit aufhalten, aber ich glaube leider nicht, dass sich an der jetzigen Situation in naher Zukunft etwas verbessert. ESPRESSO: Was würdet ihr euch für die Zukunft für den Beruf und die Arbeitsbe- dingungen der Hebammen wünschen? MARIA: Eine 1:1 Betreuung in der Geburtshilfe, denn in vielen Krankenhäusern der Republik herrscht eine katastrophale Besetzung in den Kreißsälen. Die Kolleg*innen arbeiten am Limit, die Frauen werden zum Teil sehr schlecht betreut. Es braucht eine bessere Lobby, weniger Bürokratie, eine Regelung zur jährlich steigen- den Haftpflichtversicherung, insgesamt eine bessere Vergütung. Wir Hebammen am Klini- kum Ingolstadt sind ein Team aus freiberuflichen Hebammen und daher deutlich besser besetzt. Maria, Maxi und Johanna, vielen Dank für diese interessanten Einblicke in eure Arbeit und alles Gute für euren weiteren Weg. Es gibt immer noch viele Geburten, die das Herz berühren Weitere Einblicke in die Ingol- städter Hebammengemein- schaft gibt es online auf www.geburt-ingolstadt.de Auch auf Instagram sind sie vertreten: @ Ingolstaedter_ Hebammen “
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