espresso - November 2021

KULTUR 41 „Weißt du, warum wir das machen? Weil du der Schwächste hier bist.“ Der Schwächste. Das war ich schon im- mer. Zumindest habe ich das so gefühlt. Du machst als 14-Jähriger mit zerbeulten Jeans, zu weiten Pullovern, verbogener Brille und 40 Kilo auf der Waage nichts. Du machst als Person ohne Selbstvertrauen nichts. Selbstvertrauen ist alles. Ich hatte es nie. Als ich in der fünften Klasse wegen meines zu billigen Rucksacks gehänselt wurde, war das meinen Eltern egal. Stattdessen warfen sie mir vor, dass sie so viel Geld für einen Markenrucksack ausgeben mussten. Nur wegen mir. Der Schwächste eben. Irgendwann habe ich das geglaubt. Besonders, als ich vier Jahre später quasi von der ganzen Klasse schikaniert wur- de. Als Hefte auf mich flogen. Als ich im Unterricht herumgeschubst wurde. Als Lehrer zusahen, nichts machten. Also tat ich so, als wäre mir schlecht, nur weil ich Angst vor der nächsten Stunde hatte. Es war meinen Eltern egal. Es ging darum, wie man die anderen Jungs bestraft. Ich war ihnen egal. Mein Selbstver- trauen, mein Kopf, meine Gefühle. Es war alles egal. Es war allen egal. Da machst du nichts. Außer an dir zweifeln. Und weinen viel- leicht. Ganz bestimmt sogar. Soll doch der Junge sehen, wo er bleibt. Soll doch der Junge sehen, was er anders macht. Soll doch der Junge sehen, wie er den nächsten Tag schafft. „Dann darfst du dich halt nicht ärgern lassen.“ Und ein Klaps auf die Schulter. Vielen Dank. Für nichts. Ich hatte nie das Gefühl, auch nur irgendetwas richtig machen zu kön- nen. Das ist bis heute geblieben. Mehr haben mir meine Eltern nicht beigebracht. Meine Kinder sollen so nicht denken. Kinder sind nicht immer die Coolsten. Kinder stürzen mal. Kinder sind mal mit sich selbst unzufrieden. Oder mit der ganzenWelt. Selbstvertrauen aber fängt dich auf. Du fällst wahrscheinlich trotzdem hin. Sehr sicher sogar. Aber Selbstvertrauen schützt dich, damit du nicht zu hart fällst. Kevin Reichelt ist Poetry Slammer, Moderator, Buchautor und Texter aus Leidenschaft. In unserer Rubrik „Story Time“ stellen wir ausgewählte Texte von ihm vor STORYTIME M V EI IT KE IN R CHELT Es reicht dir die Hand und hilft dir auf. Und es gibt dir eine Umarmung, wenn du es brauchst. Keinen Klaps auf die Schulter. Selbstver- trauen macht dir keine Vorwürfe. Ich habe das nie gehabt. Ich habe das nie gelernt. Deswegen kämpfe ich immer noch. Und falle oft. Und hart. Vielleicht öfter und härter als andere. Alles nur, weil ich Papa nie gut genug war. Und Mama mir nichts zugetraut hat. Auch nicht, als ich einen Poetry Slam – meinen Poetry Slam – moderieren durfte. „Du und mo- derieren? Das passt nicht. Das kannst du nicht.“ Da machst du nichts. Außer zweifeln. Und weinen. Und es trotzdem versuchen. Mittlerweile hat niemand in Ingolstadt mehr Slams moderiert als ich. Beschwert hat sich keiner. War ganz okay. Für mehr reicht mein Selbstvertrauen nicht. Heute weiß ich, warum die anderen mich so behandelt haben. Weil man ohne Selbst- vertrauen schwach ist. Dann wird der Schwächste herumgeschubst - von anderen Schwachen, die Selbstvertrauen suchen. Deswegen will ich das gemeinsammit meinen Kindern finden. Ich will an sie glauben, wenn sie einen Baum hochklettern. Sie trösten, wenn sie runterfallen. Und ermutigen, es nochmal zu probieren. Sie sollen sich selbst vertrauen. Ich habe das lange nicht, ich arbeite dran. Liebe Eltern, Kinder brauchen nicht viel. Liebt sie. Glaubt an sie. Traut euch - vertraut ihnen. Dann tun sie es auch. Kevin Reichelt auf Instagram folgen: @kevin_reichelt F Das Foto von Kevin Reichelt schoss die In- golstädter Fotografin GERMAINE NASSAL . Für Shooting-Anfragen einfach über Instagram Kontakt aufnehmen: @germainenassal

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