espresso - Dezember 2021

34 KULTUR Sie sprechen davon mehr experimentieren zu wollen. Was genau meinen Sie damit? Mir ist es wichtig, Brücken zwischen den Künsten zu schla- gen. Ich möchte die Klassische Musik verbinden mit Video-Kunst, Tanz, Theater – Sachen, die wir auch früher schon gemacht haben. Eine Überle- gung ist beispielsweise, ein Late-Night-Konzept auszuarbeiten, also eine abendliche Showmit DJ, etwas lockerer und kürzer als unsere klassischen Konzerte, jeder bekommt ein Bier und wir feiern zusammen eine Party. Solche Dinge, die ein ande- res Publikum und eher die Jüngeren ansprechen, möchten wir in Zukunft öfter ausprobieren. Der Schwerpunkt wird auch auf dem Nachwuchs liegen, das heißt wir werden mehr Konzerte für Kinder spielen, dabei darauf Wert legen, dass es sich um neue und originelle Stücke handelt, nicht die altbekannten Klassiker, die schon jeder kennt. Generell wollen wir die Distanz zwischen den Musikern und dem Publikum im Saal ver- ringern. Denn letztendlich befinden wir uns bei einem Konzert doch alle in einer großen Kugel aus Energie. Das Publikum gehört fest dazu und wir möchten es deshalb mehr in das Schaffen des Orchesters integrieren. Haben Sie in dieser Hinsicht schon Erfahrungen gesammelt? Ich habe schon viele Sachen auspro- biert. Erst vor wenigenWochen habe ich mit dem Israel Chamber Orchestra eine Art von Open-Air- Party mit 2.000 Leuten gefeiert. Wir haben dort Barockmusik gespielt. Die meisten Menschen im Publikum haben ein so großes Orchester noch nie live gesehen. Diese Leute, die nie mit Klassischer Musik in Berührung gekommen sind, haben in dieser Atmosphäre, die ihnen bekannt ist, das erste Mal den Kontakt mit der Klassischen Musik gefunden. Es war eine tolle Stimmung. So ähnlich stelle ich mir die Akademiekonzerte vor 300 Jahren vor, wo die Leute auch zusammen- gekommen sind, um sich zu unterhalten und zu feiern und gleichzeitig Musik gespielt wurde. Wird denn für das etablierte Publikum, das ger- ne das Altbekannte hört, auch etwas geboten sein? Ja, auf jeden Fall. Das Abo-Publikum ist der Kern des Schaffens des Orchesters, das wird auch weiterhin so bleiben. Bei den Experimenten, die ich angesprochen habe, handelt es sich eher um Extra-Projekte, die das Orchester in eine andere Richtung bringen. Der Kern sind die Konzert- säle, abseits davon kann man mit Ausstellungen, Partys oder Theaterstücken experimentieren. Auf welche Highlight freuen Sie sich beson- ders in dieser Saison? Jedes Konzert ist ein Highlight für mich. Sehr gefreut hatte ich mich auf mein erstes richtiges Konzert in diesem Jahr, es wäre im November gewesen, musste aber leider abgesagt werden, weil wir einen Corona-Fall imOrchester hatten. Dort wäre die Pianistin Eliso Virsaladze, eine Legende der Musikwelt und eine alte Freundin des Orchesters aufgetreten. Sie war seit 12 Jahren nicht mehr bei uns – apropos Energie, sie ist wirklich ein Feuerwerk! Wir hoffen, dass wir dieses Konzert bald wiederholen können. Aber wie gesagt, jedes einzelne Konzert ist ein Highlight für mich. Was macht für Sie persönlich den Reiz von Klassischer Musik aus und was hören Sie privat am liebsten? Ich höre nicht nur Klas- sische Musik. Meistens höre ich viele andere Musik-Genres, ich interessiere mich für jede Art der Musik, die gut präsentiert ist und eine gute Qualität hat. Die Klassische Musik ist bei uns Musikern sowieso 24 Stunden im Kopf, deshalb höre ich gerne etwas anderes zum Entspannen. Klassische Musik ist für mich eine der schöns- ten Künste überhaupt. Was man ohne Worte in dieser Tiefe sagen kann, ist unglaublich. Das spürt auch das Publikum, es wird berührt dadurch oder verärgert oder angetan, auf jeden Fall macht es etwas mit den Menschen. Musik ist für mich die tollste Sprache der Welt, die alle Menschen miteinander verbindet. Gerade wenn ich mit jüngeren Orchestern arbeite, merke ich das. Dort sehe ich 50 verschiedene Nationali- täten, die mit Freude zusammen musizieren, obwohl sie nicht miteinander reden können. Mich beeindruckt auch die Kraft, die Schönheit der Vergangenheit nur durch ein Blatt Papier mit Noten zum Leben zu erwecken. Das ist unerhört, das ist das Schönste, was es gibt. Herr Zuckermann, vielen Dank für das Gespräch. Seit seiner Übersiedelung nach Deutschland 1990 hat das Georgische Kammerorchester seinen Sitz in Ingolstadt. Mittlerweile hat es sich zu einem festen Bestandteil des regionalen und überregionalen Kulturlebens entwickelt Konzerte 02.12.21 Viertes Abo-Konzert mit Violinist Ben- jamin Schmid und Bratschist Amihai Grosz 01.01.22 Neujahrskonzert mit der Band Kolsimcha 20.01.22 Fünftes Abo-Konzert mit Pianist Alexander Korsantia und Trompeter Peter Mönkediek Foto: Andi Frank

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