Kliniken & Fachärzte: Gesundheit - Medizin - Prävention

10 Kliniken & Fachärzte Kurz mal an der Hüfte operiert Prothesen werden immer häufiger ambulant eingesetzt – für manche Ärzte ein Segen, für andere ein Fluch Fünf Tage intensive Preha, also eine Reha schon vor der Operation, eine am- bulante OP mit örtlicher Betäubung, nach zwei Stunden wieder auf den Bei- nen und dann ab nach Hause. So lässt sich das Prinzip Hüft-OP „to go“ kurz zusammenfassen. Über den Sinn und Unsinn des ambulanten Eingriffs. Es ist Samstagnachmittag, 2. Oktober 2021. Die 71-jährige Renate Lachner aus Oppersdorf wird mit dem Rollstuhl zum Kursaal Bad Abbach geschoben. Drinnen findet ein Hybrid-Fachsymposi- um statt. Etwa 50 Ärzte und Physiothe- rapeuten, teilweise per Zoom aus der ganzen Welt zugeschaltet, warten auf sie. Vor circa zwei Stunden hat ihr der Hüftspezialist Prof. Dr. Dr. Joachim Grif- ka, Direktor der Orthopädischen Klinik der Universität Regensburg, eine neue Hüfte eingesetzt – per Tele-Übertragung aus dem OP-Saal des Asklepios Klini- kums Bad Abbach live für alle sichtbar. Noch sitzend stützt sich Lachner auf die Krücken. Vorsichtig stellt sie ihre Beine auf den Boden und versucht aufzuste- hen. Nur wenige Sekunden später mar- schiert sie freudestrahlend im Jogging- anzug und in Begleitung der Physiothe- rapeutin Anne Toffel auf ihren Operateur zu. „Ich sag’s Ihnen: Das hat super hin- gehauen!“, strahlt sie ihn an. Ein kurzes Video über das Symposium ist frei im In- ternet zu finden. Der entscheidende Vorteil: Fast-Track Doch wie ist es möglich, dass diese Frau, von der Grifka sagt, dass sie ein Jahr nur am Stock gehen konnte, hier so ent- spannt vor den Augen des Publikums eine große Runde dreht? Jeder Schritt soll zuvor geschmerzt haben, die Hüfte war völlig steif. Trotz OP ist Renate Lachner geistig voll da, hat keine Schmerzen, keine Drainageschläuche am Körper. „Der große Vorteil ist dieses Fast-Track- Verfahren“, sagt der Professor. Ein OP- Verfahren aus Dänemark, das Grifka, wie er sagt, selbst seit 2006 hinsichtlich der OP-Technik optimiert hat, sodass es bei einer ambulanten Hüft-OP zur Anwen- dung kommen kann. Das Ziel: Der Pa- tient ist zwei Stunden nach der OP wie- der fit, hat keine Schmerzen, keine kriegen, sind Sie unter Kontrolle, wenn Sie die zuhause kriegen, ist dies gefähr- lich.“ Außerdem müssten Patienten selbst er- kennen können, wenn mit ihrer Wund- heilung etwas nicht in Ordnung ist, da es anders als in Dänemark oder den Nie- derlanden in Deutschland keine mobilen Schwestern gibt, die die Wunden kon- trollieren. Auch Hausärzte seien mit der- artigen frischen Wunden nicht zwingend erfahren. Eine regelhafte Nachsorge müsse jedoch zwingend sichergestellt und im Routinealltag der Praxen unter- gebracht werden. Im Moment sei es da- her noch so, dass sich die Patienten ger- ne stationär behandeln lassen mit den üblichen vier, fünf Tagen und dann eine Reha anschließen. Ambulant ist einfach billiger In den USA hat sich die ambulante Hüft- OP bereits durchgesetzt. Ob das in Deutschland auch denkbar ist? „Es wird sich nur für einen geringen Anteil der Patienten durchsetzen“, sagt Heller, „auch wenn es sicher politisch ge- wünscht ist.“ Dass in den USA so häufig ambulant operiert wird, liege an den Rahmenbedingungen. „Da ist der Pa- tient ganz anders getriggert. Da ist die Selbstbeteiligung bei einer OP hoch.“ Ein völlig anderes Gesundheitssystem als in Deutschland. „Wir erleben hier gerade eine Ambulan- tisierungswelle. Das hat definitiv was mit Geld zu tun“, sagt Heller. Eine neue Hüfte koste in Deutschland rund 6000 Euro – für stationären Aufenthalt, Pro- these und alles drum und dran. „Das ist erschreckend billig. Ambulant sind es nicht mal dreieinhalbtausend.“ Es könne also nur im Sinne der Kassen sein, wenn man ambulant operiere – aber nur, so- lange der Patient keinen Schaden erlei- de und richtig behandelt werde. Wenn die ambulante Hüft-OP in Serie gehe und die Patienten vorher nicht gut selektiert würden, sei das doppelt schlecht. „Die Kassen müssen die Kom- plikationsraten beachten“, sagt Heller. Und deswegen komme für das Verfahren nur ein kleines Klientel überhaupt infra- ge – langfristig gesehen maximal fünf bis acht Prozent aller Hüft-Operationen. Marina Jung besondere Technik beherrscht, Physio- therapeuten und Schwestern, die mit dem Verfahren vertraut sind. „Neue OP-Methode“ doch nicht so neu Doch durchtrennte Muskeln, benebelte Patienten und lange Liegezeiten sind schon lange nicht mehr der Standard in Deutschland bei einer Hüft-OP, sagt Prof. Dr. med. Karl-Dieter Heller, Chef- arzt der Orthopädischen Klinik am Her- zogin Elisabeth Hospital in Braun- schweig und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik (AE). Ein minimalinvasiver Zugang zwischen zwei Muskeln werde seit vielen Jahren in über der Hälfte der Deutschen Kliniken gewählt, Tendenz steigend. Auch Fast- Track oder „rapid recovery“, wie es noch genannt wird, sei in vielen Kliniken mittlerweile Routine. „Perfekte Infor- mation, perfekte Vorbereitung, perfek- ter OP-Ablauf, perfekte Nacharbeitung mit dem Ziel, den Patienten relativ zü- gig durchs System zu schleusen“, sei an der Tagesordnung. Aus neun Tagen Auf- enthalt in der Klinik sind vier bis fünf geworden. Laut Heller vermittelt Grifkas Live-Sym- posium, dass man eine hohe Anzahl an Patienten ambulant operieren könne. „Das ist entsprechend der allgemeinen Erfahrung nicht so. Ich halte es für ge- fährlich, das so zu vermitteln.“ Nur ein Bruchteil der Patienten komme für das ambulante Verfahren überhaupt infrage. Diese müssten gesund und fit sein, voll belastbar und mit einer einfachen Ver- schleißerkrankung ohne gravierende Fehlstellungen. In Frankfurt gebe es einen Arzt, der ei- nen Patienten mit zwei neuen Hüften am ersten Tag nach Hause geschickt habe. „Das ist je nach Einzelfall mit ei- nem hohen Risiko behaftet“, sagt Hel- ler. Es darf vorab keinerlei Verdacht auf eine mögliche Thrombose oder Embolie geben. „Wenn Sie die im Krankenhaus Nach etwa zwei Stunden werden sie an die Bettkante gesetzt und dürfen auf- stehen, die Hüfte wird „durchmobili- siert“. In Begleitung können sie einen Parcours absolvieren und Treppen stei- gen. Erst wenn alles optimal läuft, wer- den sie nach Hause entlassen. Wenn Preha, dann keine Reha? „Eine Reha ist immer erforderlich“, sagt Grif- ka. „Wer eine Arthrose hat oder vorher ein steifes Gelenk, hat sich vor der Ope- ration ja nicht mehr richtig bewegt.“ Ob ambulant oder stationär hängt von der individuellen Situation ab: Muss man zwei Etagen Treppe steigen und lebt man alleine oder hat man einen Partner, der einen unterstützt. „Schonender für Patienten 70 plus“ „Fast-Track, also schnell wieder aufste- hen, machen wir bei uns in der Klinik für alle Patienten“, sagt Grifka. Alle Arten von Prothesen seien möglich, auch in der Haltbarkeit der künstlichen Gelenke gebe es keinen Unterschied. Aber gerade für Patienten 70 plus sei das schnelle Aufstehen viel schonender, so der Pro- fessor. Einschränkungen gebe es nur für Patienten mit schweren neurologischen Erkrankungen. „Wer im Rollstuhl sitzt und ganz massiv eingeschränkt ist, kann natürlich nicht nach zwei Stunden auf- stehen.“ Grifka: „Kein Risiko, aber man muss es beherrschen.“ Grifka sagt, dass es Kollegen gebe, die meinen, eine ambulante Hüft-OP sei zu riskant. Das seien vor allem die, die die großen Schnitte am Muskel machen. Da- her habe er dieses Live-Symposium ge- macht. „Da ist kein vermehrtes Risiko. Das ist auch Kassenleistung. Aber man muss die OP-Technik natürlich beherr- schen. Das ist nichts für jedermann.“ Man brauche bestimmte Strukturen in der Klinik, eine Anästhesie, die diese Schwellung, kann aufstehen und sich selbst versorgen. Grifka vergleicht die ambulante Hüft-OP mit dem, was in Deutschland jahrelang Standard war: Bei ihm bekommt der Pa- tient keine Vollnarkose. Er schläft in Teilnarkose, das betroffene Bein wird vom Operateur dort betäubt, wo der Schmerz entsteht, wo geschnitten und gesägt wird. „Das ist wie beim Zahn- arzt“, sagt Grifka. „Der spritzt in zwei Stellen am Mund, damit der Nerv be- täubt ist, und kann dann alles am Zahn machen. So machen wir das auch.“ Doch Teilnarkose und Lokalanästhesie haben noch einen weiteren Vorteil für den Patienten: Sie benebeln nicht, da- mit braucht es auch keine drei Tage Bettruhe. „Wenn wir beide, die wir das nicht gewohnt sind, zwei Tage Morphin- präparate bekommen, dann können wir am dritten Tag auch nicht geradeaus ge- hen“, sagt Grifka. „Die Patienten fallen in ein tiefes Loch mit einer Operation, die schmerzhaft ist, wo man starke Schmerzmittel bekommt, bei der die Muskulatur durchschnitten wird.“ Auch das macht Grifka nicht. Er schiebt den Muskel lediglich zur Seite, um an das schmerzende Hüftgelenk zu kommen. Physiotherapie spielt eine Schlüsselposition „Eine Schlüsselposition hat natürlich auch die Physiotherapie“, sagt Grifka. Alle ambulant zu operierenden Patien- ten müssen an fünf Tagen vor der OP ein intensives, strukturiertes physiothera- peutisches Trainingsprogramm absolvie- ren. Hier werden spezielle Übungen ver- mittelt, wie man schnell wieder gelenk- schonend fit wird. Dem Patienten wird aber auch gezeigt, wie er nach der OP mit Gehstützen laufen, das Gelenk be- lasten, sich hinsetzen oder sich selber die Schuhe anziehen kann – Alltagsver- halten halt. Doch auch direkt nach der OP sind die Patienten nicht sich selbst überlassen. Prof. Dr. med. Dr. h.c. Joachim Grifka Prof. Grifka und sein Team bei der ambulanten Hüft-OP. Fotos: Orthopädische Universitätsklinik Regensburg Prof. Dr. med. Karl-Dieter Heller Foto: Stefan-Thomas Kröger Das Klinikum Erding stellt sich vor Spi tzenmedi z in ganz nah Ein großes Team für Sie: Ärztinnen und Ärzte unseres Klinikums Landkreis Erding arbeiten fachübergreifend zusammen, um im Team mit Ihnen gemeinsam den besten Weg zu gehen. Wir sind für Sie da! 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