espresso - Januar 2022

48 LEBEN Meine Tochter sagte im ersten Lockdown zu mir: „Mama, weißt du, was ich ammeisten an dir liebe? Dass du das mit der Achtsamkeit machst.“ “ halten, Kraft zu schöpfen und den Anforderungen unseres Lebens mit mehr Klarheit, Freundlichkeit und Akzeptanz zu begegnen. Der Kurs ist eine Einladung zu experimentieren und sich überraschen zu lassen, was passiert. Was jede*r dann lernt, ist dabei sehr individuell und hängt auch davon ab, wie viel Zeit sich die Teilnehmer*innen zumÜben nehmen. In diesem Zusammenhang möchte ich noch betonen, dass MBSR- und Achtsamkeitskurse keine Therapie oder medizinische Behandlungen ersetzen, jedoch durchaus eine sinnvolle Ergänzung sein können, wenn dies in Rücksprache mit den behandelnden Ärzt*innen/Therapeut*innen erfolgt. Achtsamkeit ist ein weltweiter Trend. Woran liegt das deiner Meinung nach? Das Leben vieler Menschen ist sehr schnell und unberechenbar geworden. E-Mail, Smartphones, Social Media, Klimakrise, Flutkatastrophe, Pandemie – vieles trägt dazu bei, dass wir nahezu atemlos und pausenlos durch unser Leben hetzen. Wir sind zwar weltweit vernetzt, doch gleichzeitig fühlen sich immer mehr Menschen einsam. Zudem schätzt dieWHO, dass stressbedingt psychische Erkrankungen bald noch weiter verbreitet sein werden und Erkrankungen in diesemZusam- menhang stetig zunehmen. Ich denke, dass es eine Sehnsucht der Menschen nach Sinn, Frieden und Ruhe gibt und dass die Menschen nach Möglichkeiten suchen, mit den Her- ausforderungen des Lebens auf eine heilsame Art undWeise umzugehen. Achtsamkeit ist einWeg, der bei vielen diese Sehnsucht anspricht. Die (Vor-)Weihnachtszeit sollte im besten Fall eine besinnliche Zeit sein, häufig ist sie jedoch genau das Gegenteil. Hast du ein paar Ratschläge, wie wir möglichst achtsam und entspannt durch diese Zeit gehen können? Bei meinemUnfall vor fünf Jahren ging es mir genauso. Ich war völlig gestresst und abgehetzt, weil die Geschenke noch nicht eingepackt waren, dieWeihnachtseinkäufe noch nicht erledigt und ich noch zur Arbeit musste. Dennoch ist das mit den Ratschlägen so eine Sache, denn es ist von Mensch zuMensch sehr unterschiedlich, was als stressig wahrgenommen wird. Ein erster Schritt kann deshalb sein, uns darüber klar zu werden, was bei uns Stress auslöst. Wenn wir unsere Stressauslöser erst einmal kennen, haben wir auch die Möglichkeit, darauf anders zu reagieren. Wichtig ist, ganz bewusst Pausen zu machen und innezuhalten von all demTun und Planen. Und mir zu überlegen: Was brauche ich wirklich?Was ist jetzt hilfreich?Was wäre der freundlichste Schritt, um jetzt weiter zu machen? Hier hilft mir auch eine To-Be-Liste als Gegenstück zu den To- Dos. Auf der Liste steht, was ich sein lassen kann, wie ich sein möchte und was mir wirklich hilft, um zur Ruhe zu kommen. Das kann Achtsam- keitsmeditation sein oder ganz kleine Sachen wie in Ruhe Kaffee trinken, ein inspirierendes Buch lesen oder einen Genussspaziergang machen. Hier wirklich auf die Suche gehen, was mich zur Ruhe kommen lässt und in herausfordernden Zeiten unterstützt. Zudem habe ich meine To Dos vorWeihnachten deutlich entschlackt und mir bewusst weniger vorgenommen. Dabei verzichte ich so gut es geht auf Multitasking und versuche, eine Sache nach der anderen zu machen und auch meinen Mann in dieWeihnachtsplanung mit einzubin- den. Und imZweifel: weniger tun und mehr sein lassen. Katrin, vielen Dank für diese Einblicke in die Welt der Achtsamkeit und alles Gute für deinen weiteren Weg. können also üben, ganz bewusst zu duschen, Ihren Kaffee ohne Ablenkung zu trinken oder auch den Weg zumAuto bewusst zu gehen. Die Aufmerk- samkeit dabei immer wieder auf die Sinne richten und neugierig spüren, wie der Körper sich jetzt gerade dabei anfühlt. Wie fühlt es sich an, wenn ich die Tasse mit heißemKaffee oder Tee in den Händen halten?Was kann ich riechen?Welche Farben und Formen kann ich wahrnehmen? Wie schmeckt der Kaffee?Wie hört es sich an, wenn ich den Kaffee schlucke?Wer und was hat dazu beigetragen, dass dieser Kaffee jetzt in unserer Tasse ist? Hier empfiehlt es sich, eine alltägliche Sache auszuwählen, die Sie regel- mäßig ganz bewusst achtsam ausführen. Wie baust du die Achtsamkeit in deinen Alltag ein und wie viel Zeit nimmst du dir dafür? Jeder Moment in meinemLeben ist eine Einladung, ihn aufmerksam und bewusst wahrzunehmen. Das Leben ist sozusagen meine Achtsamkeitspraxis. Von daher braucht es dafür gar nicht mehr Zeit, weil es einfach darum geht, das Leben in jedem Moment so wahrzunehmen und alles so sein zu lassen, wie es gerade ist. Das kann manchmal sehr herausfordernd sein und da ist es dann wichtig, mit mir selbst mitfühlend und freundlich umzu- gehen. Mir selbst eine gute Freundin zu sein. Das musste ich auch erst einmal lernen und es erfor- dert viel Geduld, Akzeptanz und auch Vertrauen. Gleichzeitig ist es so wie beimKlavierspielen oder auch beim Sport, dass Achtsamkeit regelmäßig trainiert werden muss, damit der Achtsamkeits- muskel gestärkt wird. Hier gibt es unterschiedliche Möglichkeiten wie z.B. achtsame Körperübungen, Körperwahrnehmung (Bodyscan) oder Achtsam- keitstmeditation. Auch diese Übungen mache ich sehr regelmäßig – je nachdemmal 15 Minuten und mal 45 Minuten amTag. Welche Menschen nehmen an deinen Kursen teil und was lernen sie bei dir? Die einen suchen einenWeg, ummit den Anforderungen und stressigen Situationen ihres Lebens besser klar zu kommen. Dann gibt es Menschen, die vielleicht mit Schlafproblemen, Schmerzen oder anderen Erkrankungen zu kämpfen haben. Wieder andere möchten vorbeugen und etwas für die Stärkung ihrer Gesundheit undWiderstandskraft tun. MBSR steht für Mindfulness Based Stress Reduc- tion und bedeutet übersetzt so viel wie Stressbe- wältigung durch Achtsamkeit. Es ist ein achtwö- chiges Übungsgprogramm, das 1979 von Prof. Dr. Jon Kabat-Zinn entwickelt wurde und seitdem weltweit erfolgreich in verschiedensten Bereichen eingesetzt wird. Das Besondere anMBSR ist, dass es jahrtausendealte meditative Übungen mit modernen Erkenntnissen aus Psychologie, Neuro- wisssenschaften und Stressforschung verbindet. MBSR lehrt uns, inmitten unseres Alltags innezu-

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