Perspektiven

Bezwinger der Müllberge Müllwerker und Berufskraftfahrer packen ordentlich an, um auf ihren Strecken riesige Mengen an Wertstoffen zu bewegen Sie sind Herrscher über 420 PS und 17,5 Tonnen Leergewicht: Mitarbeiter im Abfuhrbetrieb des Zweckverbands Abfallwirtschaft Straubing Stadt und Land (ZAW-SR) brauchen schweres Ge- rät, um der Masse an Müll Herr zu wer- den. Durch enge Straßen manövrieren, Tausende Behälter leeren und dabei ganz alltägliche Hindernisse meistern – das klappt in einem eingespielten Team aus Müllwerkern und Fahrern. Ein sonniger Freitagmorgen im Januar. Auf dem Betriebshof des ZAW-SR am Al- fred-Dick-Ring in Straubing dreht sich heute alles ums Papier. Wobei man eher Pappe sagen müsste, nimmt deren An- teil dank Versandlieferungen stetig zu. Gegen 9 Uhr kommen die ersten Fahr- zeuge und entledigen sich der Massen, die sich seit Dienstbeginn um 5.30 Uhr angehäuft haben. Perfekter Ausgangs- punkt für mich, zwei Profis auf ihrer Weiterfahrt zu begleiten. Am Steuer sitzt Sebastian Jung, erfahre- ner Müllwerker mit Lkw-Führerschein. Ihn unterstützt Alexander Amann, der den körperlich herausfordernden Part übernimmt und die schweren Müllton- nen heranzieht. Allein der Einstieg ins Fahrzeug kommt dem Klettern auf eine Leiter gleich. Dafür wartet ein Platz mit bester Sicht auf den Straßenverkehr. Die ist auch nötig, um das Geschehen im Blick zu behalten. Verkehrsteilnehmer sind nicht immer rücksichtsvoll Nach kurzer Anfahrt ist der erste Stopp ein Wohngebiet in der Herzog-Ludwig- Straße. Amann zieht sich Arbeitshand- schuhe an, steigt aus und rollt einen Müllcontainer nach dem anderen heran. Diese werden am Ende des Fahrzeugs eingehängt und per Knopfdruck nach oben gefahren. Einige heftige Rüttler und der Papiermüll ist ausgeleert. Sind die Deckel wie an diesem kalten Vormit- tag teils angefroren oder bilden sich Klumpen in der Tonne, wird manuell mit weiteren Stößen nachgeholfen. „Manch- mal ist der Fahrer schneller dran als der Kollege hinten“, scherzt Jung. Das fällt spätestens nach wenigen Metern auf. Jung und Amann verstehen sich ohne viele Worte. Während der eine noch die Tonne zurückstellt, ist der andere schon zu den nächsten signalblauen Behältern vorgefahren. Mit Kameras haben sie sich immer gegenseitig im Blick. Eine Abbie- gekamera hilft, Rücksicht auf Fußgänger zu nehmen. Die Automatiksteuerung er- leichtert den Job zusätzlich. Weiter geht es in Richtung Unterm Rain. Es dauert nicht lange, da blockiert ein Lkw die Straße. Amann muss aussteigen seien körperliche Fitness und ein klarer Kopf, wenn es darum geht, eine Tour zu koordinieren und den genauen Ablage- ort des Abfalls zu kennen. „Man muss dabei auf Zack sein“, sagt Asen. Die Fahrer benötigen einen Lkw-Führer- schein, typischerweise mit der Ausbil- dung zum Berufskraftfahrer. Ungelernte Fahrer müssen regelmäßig Schulungen besuchen, um sich das Wissen anzueig- nen. Technisches Verständnis, Verant- wortungsbewusstsein und Selbstbe- wusstsein zählt Asen als wichtige Eigen- schaften auf. Denn für Schäden haftet der Fahrer selber. Eine kurze Unaufmerk- samkeit kann weitreichende Folgen ha- ben. Die Bezahlung orientiert sich am Tarif des öffentlichen Dienstes: Müllwer- ker beginnen bei etwas über 2400 Euro Bruttojahresgehalt und steigern sich ge- staffelt nach Altersstufen auf bis zu knapp 3000 Euro. Je nach Berufserfah- rung verdienen Fahrer zwischen rund 2700 und 3300 Euro. Das Duo Jung und Amann hat nur eine kurze Verschnaufpause. Die ganze nächste Woche werden sie den Restmüll der Straubinger einsammeln – von Al- burg über die südlichen Gebiete und den Stadtplatz. Eins ist sicher: Der Nach- schub wird ihnen nicht ausgehen. Christoph Aschenbrenner Gymnasium die Josef-Schlicht-Straße das Ende der Tour markiert. Amann darf nach Stunden des Schleppens hinten absteigen und wieder Platz im Führer- haus nehmen. „Passt alles“, sagt Amann zum zügigen Ablauf der Schicht. Auf dem Betriebsgelände angekommen, geht es auf die Waage. Im Boden veran- kerte Sensoren messen das geladene Ge- wicht, insgesamt acht Tonnen. Dieser Ballast wird nach dem Abladen zur An- gelegenheit von Reinhard Schichtl. Der Maschinenführer räumt im Akkord bis zu 70 Tonnen Papiermüll an einem Tag zur Seite und schafft Platz für immer neue Lieferungen. Mit seinem Bagger schiebt er die Müllberge in einer Halle zusam- men und verlädt sie mit seinem Bagger auf Sattelzüge. Deren Anlaufstelle ist München, dort wird das Papier aufberei- tet und wiederverwertet. Technisches Verständnis und Verantwortung mitbringen Schichtl hat wie viele andere des Be- triebs ursprünglich einen anderen Beruf erlernt, nämlich Maurer. Dazu gesellen sich ehemalige Brauer, Metzger und so- gar ein Priester, der kürzlich wieder in seine rumänische Heimat zurückgekehrt ist. „Vom Urbayer bis zu anderen Kultu- ren ist alles dabei“, sagt Betriebsleiter Andreas Asen zum guten Mix seines Teams. Grundsätzlich handle es sich beim Müllwerker um einen Anlernberuf, also ohne bestimmte Lehrzeit. Wichtig und Container aneinanderreihen. Die Ar- beit sei herausfordernd: Man müsse viel Gewicht bewegen, an die zehn Kilome- ter Fußweg zurücklegen und immer Si- cherheitskleidung tragen. Vor allem im Sommer kann es schnell hitzig werden. „Ein paar Bewerber haben während der Fahrt schon aufgegeben“, sagt Jung. Wie es die Straubinger mit der Mülltrennung halten In der Dr.-Otto-Höchtl-Straße erteilt Amann den Bewohnern eine kleine Lek- tion und lässt Tonnen stehen, die sich hinter dem Grundstückszaun befinden. Schließlich gebe es rechtliche Gründe, auf das Betreten fremder Anwesen bes- ser zu verzichten. Normalerweise wird aber schnell ums Eck gegriffen und die Behälter mitgenommen. Als freundli- cher Service wird in Problemfällen ein Hinweisschild angebracht, um auf be- schädigte oder zu spät bereitgestellte Behälter hinzuweisen. Die Trennungsmoral in der Stadt sei ge- nerell etwas schlechter, vor allem bei Gemeinschaftstonnen von Wohnblö- cken. Die Rückverfolgung der Sünder ist da kaum möglich. Auch manche Diskus- sion mit den Anwohnern lasse sich nicht vermeiden. Da hilft nur: „Cool bleiben“, sagt Jung. Der Gäubodenpark kommt in Sichtweite. Jung nimmt Schwung und wendet einmal mitten auf der Kreuzung. Vorbei geht es durch weitere Siedlun- gen, bevor nach dem Anton-Bruckner- und einen Restmüllcontainer zur Seite schieben, um vorbeizukommen. Solche Vorfälle sind keine Ausnahme. „Ich habe die Leute schon vom Metzger geholt, wenn sie für eine Leberkassemmel im Halteverbot geparkt haben“, sagt Jung zum Verhalten der Verkehrsteilnehmer. Manche würden am liebsten unter dem Lastwagen durchkriechen. Begehrte „Springer“ vereinen die doppelte Erfahrung Die verwinkelten Gassen der Straubinger Innenstadt sind Herausforderung genug. Vereinzelt tauchen Bäume, Poller und Verteilerkästen auf, alles unliebsame Gegner. Besorgt gehen meine Blicke aus dem Fenster, als Jung an Häuser- und Kirchenfassaden entlang schleicht. „Das war noch gar nichts, gleich hältst du die Luft an“, sagt er. Für einen Vierachser hat der Wagen tatsächlich einen beacht- lichen Wendekreis. Und so meistert der Fachmann das Manövrieren durch jede noch so enge Gasse, es sei schließlich alles Übungssache. Knapp 5000 Behälter leert Jung in einer Arbeitswoche. Papier sei am ange- nehmsten. Die Geruchsbelästigung von Bio- oder Mülltonen halte sich aber in Grenzen. Besonders begehrt sind soge- nannte Springer, wie Amann einer ist. Sie besitzen neben dem Lkw-Führer- schein die Erfahrung eines Müllwerkers und sind flexibel einsetzbar. Auch Jung packt mit an, wenn sich mehrere Tonnen Die Abfallsammelfahrzeuge des ZAW-SR spucken eine Ladung nach der anderen aus. Bis zu 70 Tonnen Papier und Pappe häufen sich an manchen Tagen an, die schnell weiterverladen werden müssen. Alles im Blick: Beim Rangieren ist Millimetergeschick gefragt. Rund 140 Mitarbeiter beschäftigt der Zweckverband Abfallwirtschaft Straubing Stadt und Land (ZAW-SR). Zwei von ihnen sind Sebastian Jung (links) und Alexander Amann. Gemeinsam halten sie den Abfuhrbetrieb am Laufen und sorgen dafür, dass Platz für neuen Müll geschaffen wird. Fotos: Christoph Aschenbrenner 64 PERSPEKTIVEN

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