Das Handwerk: innovativ. kreativ. persönlich

8 Das Handwerk Vom Aussterben bedroht ? Holzbitzler, Klöpplerin und Ameisler: Altes Handwerk und kuriose Berufe aus Niederbayern und der Oberpfalz Heute Trend, damals Broterwerb: das Holzbitzeln und Klöppeln. Während ältere Vertreter des ostbayerischen Handwerks befürchten, dass die Traditionen aussterben, erleben sie bei Jüngeren eine Renaissance als Hobby. Kaum vorstellbar, dass Menschen damals kaum von den Berufen leben konnten. Da kam das Ameisln gerade recht. Das Ameisln war vom 18. bis 20. Jahrhundert ein Nebenjob für Landwirte aus dem Bayerischen Wald, Böhmerwald und Teilen Österreichs. In den Sommermonaten suchte der Ameisler Puppen auf Ameisenhaufen und verkaufte sie nach München und Wien. In Landshut und Passau zirpt es wie im Urwald Die Nachfrage war riesig, sagt Kulturreferent Christoph Goldstein vom Bezirk Niederbayern. „Noch in den 1960er-Jahren konnte man als Ameisler so viel Geld verdienen, dass am Ende der kurzen Saison ein Fernseher im Wohnzimmer stand.“ Das alles war den beliebten Singvögeln zu verdanken. „Wenn man durch die Straßen in Landshut und Passau ging, muss es gezirpt haben wie im Urwald.“ Eine Tiernahrungsindustrie gab es im 18 bis 19. Jahrhundert nicht. Also gab es Ameisenpuppen. Mozarts Ameisensalbe fürs „Weibchen“ Auch Wolfgang Amadeus Mozart hatte einen Vogel. Einen Kanarienvogel. Er schrieb 1789 seiner Frau Constanze, die auf Kur bei Wien war: „Allerliebstes Weibchen! (...) hoffe daß Du gestern mein 2tes sammt (...) Ameiseyer wirst erhalten haben.“ Ameiseneier wurden auch als Salben und Tinkturen verkauft. „Aber die Ameisler haben die Ameisenhaufen derart ausgeplündert, dass Ameisen im Laufe des 20. Jahrhunderts geschützt waren“, sagt Goldstein. Damit starb der Beruf des Ameislers aus. Einen Beruf, den es noch in abgewandelter Form gibt, ist der des Holzbitzlers. So nannten sich Bewohner des Bayerischen Walds und Böhmerwalds, die an Holz bitzelten. Bitzeln heißt: kleine Stücke von etwas abschneiden. Dabei entstanden Haus- und Landwirtschaftsgeräte wie Blaubeerkämme, Rechen, Schaufeln, Besen, Kochlöffel oder Schindeln. Max Schmid sieht sich als einen der letzten Holzbitzler im Bayerischen Wald. Für ihn ist das eine Leidenschaft. „Man muss das lieben. Bei etwa drei Euro Stundenlohn kann man davon nicht leben“, sagt der 70-Jährige. Schmid hat früher auf dem Bau gearbeitet. Schon im 19. Jahrhundert war die Arbeit der Holzbitzler eher ein Nebenverdienst für Landwirte, sagt Konrad Obermeier vom Freilichtmuseum Finsterau. „Man hat im Winter in der Stube oder Küche gearbeitet.“ Was Holzbitzler von Schreinern unterscheidet: „Holzbitzler sind sehr vielseitig“, sagt Schmid. Er stellt Rechen, Besen und Gartendeko her, aus Edelholz und Fichte. Wenn ich im Wald etwas sehe, bin ich gleich dort.“ Schmid lacht. „Man braucht offene Augen und Geschick.“ Damals habe man das Bitzeln nebenher gelernt und weitergegeben. Schmid findet es schade, dass seine zwei Söhne die Tradition nicht fortführen wollen. Er selbst sei nach einem Schlaganfall nicht mehr so fit, um seine Arbeiten auf Märkten feilzubieten. „Der Beruf stirbt leider aus“, befürchtet Schmid. Bäume fällen, verzurren, mit Schlitten ziehen Im Freilichtmuseum Finsterau gibt Schmid Einblicke in die alte Kunst. Die Arbeit mit Holz war hart und gefährlich. Oft kam es zu Unfällen. Bäume wurden gefällt, Scheite und Stämme verzurrt und mit Schlitten ins Tal gezogen. Holzbitzler stellen circa seit dem 19. Jahrhundert imBayerischenWald und Böhmerwald Holzwerkzeug und Dekoration für die Landwirtschaft und den Garten her. Ameisler sind Saisonarbeiter imBayerischen Wald, Böhmerwald und Österreich, die vom 18. bis ins 20. Jahrhundert Ameisenpuppen gesammelt und verkauft haben. Klöpplerinnen fertigen seit dem 16. Jahrhundert Spitzen. Das Spitzenklöppeln im Oberpfälzer Wald zählt heute zum immateriellenWeltkulturerbe. Altes Handwerk, Quellen: Bezirk Niederbayern, Unseco, Freilichtmuseum Finsterau. Grafik: Sonja Esmailzadeh kuriose Berufe

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