16 50 Jahre Landkreis Straubing-Bogen Eantahoib und Dreantahoib Goldene Hochzeit einer „geopolitischen“ Zwangsehe: 50 Jahre Landkreis Straubing- Bogen Eine Geschichte von Schmusern und Einflüsterern aus der Sicht des Altlandkreises Bogen Wir begrüßen sie an der Nahtstelle zwischen dem fruchtbaren Gäuboden und dem von Natur aus vernachlässigten Gebiet, also an der Nahtstelle zwischen arm und reich – mit diesen Worten begrüßte der erste Landrat des vor 50 Jahren neu geschaffenen Landkreises Straubing-Bogen, Landrat Xaver Hafner, den damaligen Ministerpräsidenten, „Landesvater“ Alfons Goppel. Die „Nahstelle zwischen arm und reich“ oder der „Wald“ und der „Gäu“, wie Hans Voggenreiter, Regierungsdirektor aus Aiterhofen die Gebiete im Landkreisbuch von 1984 nannte, standen zur Disposition, als Bruno Merk, der damalige Innenminister Bayerns, für die Jahre 1971 und 1972 die Gebietsreformen für die mit heutigen Worten geopolitische Neufassung der Landkreise und Gemeinden Bayerns anordnete. Schnell musste es gehen, um die Verwaltung erfolgreicher und vor allem kostengünstiger zu organisieren, einfacher und billiger sollte es werden, aus damaliger niederbayerischer Sicht typisch schwäbisch eben, Bruno Merk war gebürtiger Schwabe. Bruno Merk als oberster Heiratsvermittler Bruno Merk war oberster Heiratsvermittler, bayerisch gesagt, Oberschmuser der gemeindlichen Zwangsehen. Wer sich bei der Abtretung von Gemeindeteilen, bei Zusammenlegungen nicht einigen konnte, musste damit rechnen, von der Staatsregierung keine Zuschüsse mehr zu bekommen, letztendlich gemeindepolitisch handlungsunfähig zu werden. Schließlich dauerte es doch fast zehn Jahre, 1980 galt die Reform als abgeschlossen. Und – waren alle zufrieden, mit der Einverleibung kleinerer Gemeinden in Großgemeinden, mit der zwangsweisen Verehelichung unterschiedlicher Landkreise und Landkreisgebiete, mit dem Verlust von orts- und bürgernahen Mandatsträgern und Politikern, zu denen man zu Fuß gehen konnte, um seine Anliegen vorbringen zu können? So wie es bayernweit mehr oder minder heftigen Ärger und Auseinandersetzungen gab, war es auch bei uns „Eantahoib und dreantahoib der Donau“. 45 selbstständige Gemeinden bildeten den Altlandkreis Bogen, der mit etwa 51000 Hektar als einer der wirtschaftlich ärmsten Landkreise galt, Zonenrand- und Notstandsgebiet betitelt wurde und außer Landwirtschaft neben örtlichen Handwerksbetrieben, Ziegeleien und Steinbrüchen, Wald- und Forstwirtschaft über kaum Industrieansiedlungen verfügte. Xaver Hafner war aus ärmlichen Verhältnissen Landrat Xaver Hafner, aus ärmlichen Verhältnissen aus Hunderdorf stammend, also in seinen Jugendjahren selbst Betroffener von Armut und Verzicht, bewegte dies zu einem Hilferuf an die Staatsregierung Bayerns. Schließlich war es ihm zu verdanken, dass sich der Altlandkreis wirtschaftlich erholte und im Falle der zwangsweisen Vereinigung der drei Landkreise Bogen, Straubing und Mallersdorf keineswegs „vollkommen mittellos“ präsentieren konnte. Mit gutem Grund nannte Hafner die Gebietsreform ein „Zahlenspiel“ und drängte darauf, es mögen geografische, topografische, historische Gegebenheiten des Altlandkreises stärkere Berücksichtigung finden und vor allem müsse den unterschiedlichen „Mentalitäten“ der Bevölkerung Rechnung getragen werden. Xaver Hafner war „ein sturer Kopf“, pokerte heftig, war zunächst gegen die Kreisfreiheit der Stadt Straubing, war gegen Straubing als Sitz des Landratsamtes. Hafner war ein begnadeter, manchmal auch gefürchteter Redner. Seine Reden ließ er auf Zettelchen vorbereiten Seine Reden ließ er sich auf zehn mal 15 Zentimeter großen Zettelchen vorbereiten, Frau Justl, damalige Sekretärin im Landratsvorzimmer musste sie tippen, mit Durchschlag und Alfred Reisinger, selbst später Landrat hat sie ihm vor allem nach der Gebietsreform verfasst. Und die Zuhörer? Hatten Angst, wenn der Landrat die Zettel durcheinander brachte oder gar einen verlor, denn dann redete Hafner frei, ohne Punkt und Komma und meist ohne absehbares Ende bis es dann doch zum befreienden, ersten Prosit aus kühlem Bierkrug kam. Wie intensiv umGebiete, Straßen, Dörfer oder Teile davon, Weiler und sonstiges besiedeltes Gebiet gestritten, gerauft und verhandelt wurde, zeigt die Geschichte eines weiteren „begnadeten“ Redners, Josef Deschl, erster Beamter unter Bogens Bürgermeister Xaver Neueder. Bogen, das war im Mai 1972 offensichtlich, verlor im Rahmen der Gebietsreform das Landratsamt, musste die Verlegung des Gesundheitsamtes, des Veterinäramtes und die Eingliederung der AOK hinnehmen, fand keine Anerkennung als mögliches Mittelzentrum. Wen wundert, dass Bogens politisch Verantwortliche, insbesondere Josef Deschl, der am Ende der Amtszeit seines Vorgesetzten Xaver Neueder den Bürgermeisterposten anstrebte, alles daran setzten, Bogens Stadtgebiet zu erweitern. Nach Eingliederung der Gemeinde Oberalteich, Gemeinde Bogenberg und des größten Teils Pfellings sowie einzelnen Gebieten der Gemeinde Windberg, stand Degernbach zur Disposition. Eigentlich war die Aufteilung Degernbachs, das zwischen Bogen und Schwarzach liegt, nach Westen zu Bogen und nach Osten zu Schwarzach ähnlich den bestehenden Postamtsbezirken und der bereits seit zehn Jahren bestehenden Schulaufteilung anfänglich angestrebt. Deschl aber war „ein gewiefter Beamter und raffinierter Verhandlungsführer“, erinnert sich Rupert Sagmeister, ehemaliger Geschäftsstellenleiter der VG Schwarzach und bringt es auf den Punkt, wenn er erzählt: „Er (Deschl) versprach den Degernbachern das „Blaue vom Himmel“. Zeuge konnte werden, wer im Mai 1972 Josef Deschl, Zigarre rauchend in der Bürgerversammlung beim Artmeier, ein Traditionswirtshaus in Einfürst, erlebte. Die Gaststube gesteckt voll, Schwarzacher und Degernbacher gemeinsam an den Tischen beim Bier, ein „Kreuz braver“ Karl Biller, Bürgermeister und Gärtnereibesitzer von Schwarzach, eine überaus liebenswerte und immer auf Ausgleich bedachte Persönlichkeit, und Josef Deschl, wortgewaltig und bestrebt, sich ganz Degernbach einzuverleiben, darunter auch das Gebiet um Einfürst, von wo aus die Bewohner nur wenige Gehminuten nach Schwarzach hatten. Deschl spricht, während seine Zigarre auf dem Tisch kokelt, von geschmackvoll geformten Straßenlaternen, Jugendstil eben, die im Falle der Zustimmung der Bevölkerung zur Eingemeindung nach Bogen, eine stattliche Straße zieren werden, von der noch Generationen nach ihnen schwärmen würden. Schwarzachs Bürgermeister Biller konnte dem nichts entgegenhalten. So kam, was kommen musste, die Stadt Bogen gewann, was allerdings nicht selbstverständlich war, wie Leserbriefe zu Pfingsten 1972 zeigen. Paul Koch, Degernbacher und Stadtratskandidat weist darauf hin und verweist auf den „Mehrheitswillen der Bevölkerung“, „dass die Gemeinde Degernbach hätte weiterhin selbstständig bleiben können.“ (sinng. Straubinger Tagblatt, Pfingsten 1972, S. 12). Was war geschehen? Wenn schon von den Schmusern die Rede war, dürfen die Einflüsterer nicht fehlen. „Das war ein echter Einflüsterer“, erinnert sich Wolfgang Folger an die damalige Zeit und meint Alois Kreuzer, den damaligen Ortspfarrer von Degernbach . „Wollt ihr die Totengräber der Pfarrei Degernbach sein?“, fragte der umtriebige Degernbacher Ortspfarrer und ließ seinen Gläubigen emotional wohl damit keine Wahl. Das Abstimmungsergebnis war knapp, der Erinnerung nach waren es eine oder zwei Stimmen, die die Mehrheit für einen Gesamtanschluss Degernbachs an die Stadt Bogen entschieden. Einflüsterer und Schmuser gab´s in allen Orten, wen wundert, wenn das Straubinger Tagblatt anlässlich des Wahljahres 1972 eine ganze Serie veröffentlicht, Titel: „Kommunalpolitiker – Menschen mit zwei Gesichtern“. Wie die Geschichte vom „Eantahoib und Dreantahoib“ ausging, wissen wir. Johannes Müller, Kreisheimatpfleger des Altlandkreises Bogen Verwendete Literatur: Landeszentrale für politische Bildungsarbeit: Unser Landkreis Bogen, 1966 Landkreis Straubing-Bogen, Wellenhofer, M.: Der Landkreis Straubing-Bogen, 1994 Landkreis Straubing-Bogen, Michal, B.: Gäu Wald Fluss, 2013 Erwert,H.: Niederbayerische Erfolgsgeschichten, 2000 Sagmeister, R.: ...und auf der Autobahn braust unablässig der Verkehr, 2021 Stadt Bogen, Reichhart,R. und Neueder, H.: Heimatbuch der Stadt Bogen, 1982 Treml, M.: Geschichte desmodernen Bayern, Pustet, 2021 Straubinger Tagblatt (SRT): Ausgaben von Mai bis Juni, 1972 mit freundlicher Unterstützung des Stadtarchivs Straubing Altlandkreis Bogen vor der Gebietsreform Landkreisbuch 1968 Gasthaus Artmeier, Einfürst Sammlung R. Venus Hafner bei der Rede in Schwarzach. Sammlung R. Venus R Schwarzachs Bürgermeister Biller (Mitte). Sammlung R. Venus Josef Deschl 1974 Sammlung H. Neueder Keine „ideale Form“ Der Landkreis Bogen mit seinen ehemals 45 Gemeinden verringerte sich in der ersten Phase der Gebietsreform um 13 Gemeinden auf nun 32 Gemeinden, der 1972 neu geschaffene Landkreis Straubing-Bogen zählte 91 Gemeinden. Nach Abschluss der zweiten umfassenden Gebietsreform im Jahre 1978 verfügte der ehemals 91 Gemeinden (Mai 1972) umfassende Landkreis Straubing-Bogen durch Bildung der Verwaltungsgemeinschaften nur noch über 37 Gemeinden. „Eine „ideale Form“ hat der neue Landkreis nicht, dessen Konturen denen von Österreich recht ähnlich sind.“(SRT v. 5. Mai 1972, S. 28) schrieb ein Tagblattredakteur über den neu gebildeten Großlandkreis, zu dessen ersten Landrat Xaver Hafner gewählt wurde. Von da an war Hafner um das Zusammenwachsen der Landkreisbürgerinnen und -bürger bemüht, ein neues Kreisbewusstsein solle entwickelt werden (SRT, Mai 1972). Pfingsten 1972 urteilte Hafner über die Gebietsreform noch: „Wenn die Gebietsreform auch ein Jahrhundertereignis schlechthin ist, ist sie keinesfalls in der Lage, uns den Wohlstand zu bringen.“ (SRT, Pfingstausgabe 1972, S.10) Damit sollte er allerdings nicht recht behalten. Der neu geschaffene Landkreis prosperierte mal mehr mal weniger, immer unter den Vorzeichen der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung Bayerns. Helmut Erwert hat es in seinen „Niederbayerischen Erfolgsgeschichten“ vorbildhaft aufgezeigt, „eantahaoib wie dreantahoib der Donau“ ging es stetig bergauf. „Der Brückenschlag von traditionellem Agrarland und industrieller Technologie scheint gelungen.“(Erwert, H., S. 377) resümiert Erwert. Mit Recht und Stolz feiert der Großlandkreis heuer seinen Fünfzigsten und kann auf eine Erfolgsgeschichte zurückblicken. Wer immer noch im „Dreantahoib und Eantahoib der Donau“ verharren will und seine Ressentiments pflegt, indem er mit Neid auf die jeweils „Anderen“ schaut, dem seien folgende Zeilen gewidmet: eantahoib und dreantahoib wenn eantahoib dreantahoib waret, waret dreantahoib eantahoib mia waret´n de dreanten und se de eanten do kummt´s oan grad so füa san des de selb´n wia mia?
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