Gaeubodenvolksfest 2022

Volksfest vor hundert Jahren „Das Fest selbst war kein Schaustück“ Dr. Dorit-Maria Krenn Nach dem Volksfest 1912, das im Hochwasser und Dauerregen buchstäblich „versunken“ war, hatte man für den September 1914 wieder ein Volksfest geplant. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges Ende Juli 1914 jedoch stoppte alle Vorbereitungen. Der Krieg brachte Hunger, Not und Leid sowie das Ende der monarchischen Staatsform. Er zog nicht nur eine wirtschaftliche Krise mit einer rasch fortschreitenden Inflation nach sich, sondern auch eine brisante politische Zeit: Befürworter und Gegner der neuen republikanischen Staatsform standen sich gegenüber, völkisch-nationale Kräfte agitierten und wüteten gegen den „Schmachfrieden von Versailles“ und die junge Republik. In dieser Situation, 1922, hielt man in Straubing „allen Miesmachern, allen Kritisierern und Ängstlichen zum Trotz“ vom 12. bis 20. August wieder ein Volksfest ab. Alle „Bedrängnisse und Schmerzen unserer Tage“ sollten auf „einige Stunden oder Tage“ vergessen werden: „Frohsinn, Humor und Lebenslust sollen auf der Hagenwiese wieder einmal so recht zur Geltung kommen.“ Diese Hagenwiese musste aber erst einmal frei geräumt werden, da die Stadt dort bedürftigen Einwohnern „Heimgärten“ verpachtet hatte. Zur schwierigen Finanzierung des Festes wurden zum ersten Mal in der Volksfestgeschichte Eintrittsgelder erhoben. Dass die Bevölkerung das Angebot der Ablenkung gerne annahm, zeigte sich bereits am ersten Festwochenende, als Tausende von Besuchern „bei prächtigem Wetter“ aus „allen Teilen Niederbayerns“, viele mit Extrazügen, zum „ersten Friedens-Volksfest“ nach Straubing strömten, eine „gewaltige Menschenmenge“, wie sie Straubing „seit dem letzten Volksfest vor dem Kriege“ nicht mehr gesehen hatte. ♦ Riesenkrokodil und Liliputaner Um die Vergabe der Bierhallen gab es im Vorfeld großen Ärger: Die einheimischen Brauereien Neumayer und Röhrl zogen ihre Bewerbung zurück, nachdem der Festausschuss sich geweigert hatte, andere Brauereien auszuschließen. Sie fürchteten um ausreichend Einkünfte. Schließlich standen auf dem Festplatz drei Bierhallen, die zwischen 2000 und 3000 Leute fassten: der Hackerbrauerei und des Thomasbräu aus München und der Gräflich von Preysing’schen Brauerei aus Moos. Sie machten kein schlechtes Geschäft, 65580 Liter Bier wurden ausgeschenkt. Als Attraktion entpuppte sich die dem Mooser Zelt angegliederte Ochsenbraterei, so war am ersten Sonntag der Ochse mit „6 Ztr. Gewicht“ bereits am Spätnachmittag verzehrt, die Portion für 60 bis 80 Mark. Wie viele „am Spieß gebratene Hühner und Fische“ und wie viele der beliebten Rostbratwürste genossen wurden, bleibt hingegen im Dunklen. Bewirtung und Unterhaltung boten auch das Schützenhaus und das HagenCafe, das zum Beispiel mit „täglich großen Konzerten“ der Salonkapelle Toni Mauser warb. An kleinen Ständen und Buden konnte man Käse, Brezen, Zuckerwaren, Limonaden erwerben. Für Vergnügen sorgten einige Karussells, unter anderem das „Zeppelin-Karussell“, das „Hippodrom“, Schiffsschaukeln und Schaubuden wie Schichtls Theater. Eine große Anziehungskraft entwickelte ein „zoologisches Kuriosum“, das „350-jährige Riesenkrokodil mit etwa 30 Jungen“, die in einem Wasserbassin „herumplantschten“. Dieses Tier alterte übrigens bis 1938, als es erneut auf dem Volksfest gezeigt wurde, zum „500-jährigen“ Krokodil! Zum ersten Mal in Straubing war ein „Liliputaner-Varieté-Theater“: Die „kleinsten Damen und Herren, die je gelebt hatten“, bzw. die „kleinen Herrschaften“ traten als Sängerinnen und Tänzerinnen, als Akrobaten und Zauberer, als Humoristen, Musiker und Schnellmaler auf. Die Mitte des Festplatzes dominierte der städtische Glückshafen, dessen von der Straubinger Kaufmannund Bürgerschaft gestifteten Preise stark variierten: von einem Fahrrad und einem Reisekoffer, einer Halskette oder einem Regulator über Rossdecken, Strümpfe, Bleistifte, Kerzen, Beißzangen, Nudelwalkern, Kaffeehaferln zu einer Flasche Maggi, einem Glas Senf, einem Paket Lebkuchen, einer Zigarre oder einem Glas Schuhcreme. Im Westen des Festplatzes standen die Hallen für die Geflügel-, Kaninchen-, Bienen-, Gewerbe- und Landmaschinenausstellung und die Festtribüne, von der abends „das historische Stadtwappen der Stadt in tausendfachem Lichterglanze auf den Festplatz“ herabstrahlte. ♦ Ein republikanisches Besäufnis Zum Festprogramm gehörten – wie bei den Festen vorher – Schützenwettbewerbe, Radrennen, Turnvorführungen, Boxwettkämpfe, Fußballspiele und das seit 1835 übliche Abschluss-Feuerwerk. Der Sonntag, 13. August, war dem Pferdesport mit einer Bezirks-Pferdeschau am Hagen samt Preisverteilung und Pferderennen auf der Kagerser Wiese gewidmet. Die „Schaufahrt“ der Pferde über den Stadtplatz diente als Ersatz für den „der hohen Kosten wegen“ gestrichenen Festzug. Neu war das von der Schwimmriege des Turnvereins Jahn 1861 initiierte Schwimmfest an Mariä Himmelfahrt, zu dem sich „überraschend“ viele Schwimmvereine aus ganz Bayern angemeldet hatten. 275 Teilnehmer, darunter nicht wenige „Damen“, wollten in Kurz- und Langdistanz durch die Donau schwimmen oder von der Donaubrücke Turmspringen vorführen. Die Darbietungen sollten übrigens nicht nur unterhalten, sondern den Schwimmsport als wichtigen Beitrag zur „Hebung der Volksgesundheit“ vorstellen. Ein „orkanartiger Sturm“ beendete die Wettkämpfe jedoch abrupt. Für eine volle Stadt und volle Bierzelte sorgte der Regimentstag des 7. Chevaulegers-Regiments und des Reserve-Kavallerie-Regiments Nr. 5 am 19. und 20. August mit einem Festzug der teilnehmenden Soldaten und Reservisten. Dass es in Straubing vier Jahre nach der Revolution durchaus noch „monarchistisch“ zugehen konnte, zeigt die Anwesenheit des Wittelsbacherprinzen Alfons, der bis 1918 Schirmherr der Straubinger Chevaulegers war: Man ehrte ihn mit einer Serenade, einem Zapfenstreich und einem Extrapferderennen, empfing ihn im Bierzelt der Brauerei Moos „mit Jubel“. Republikanisches Leben entdeckte das „Straubinger Tagblatt“ hingegen in der Halle des Thomasbräu. Dort genossen Mitglieder des Festausschusses und Stadträte einen „fröhlichen Herren-Bierabend“, der offenbar unter dem Motto „Tod der Griesgrämigkeit“ in einem Besäufnis endete: „Und es ist geglückt, was selten so einmütig zu schauen ist, ohne Rücksicht auf Parteiprogramm und Sonstiges amüsierte sich der Stadtrat königlich – Pardon – republikanisch.“ ♦ MaßBier für 30Mark Zuviel in den Maßkrug geschaut hatte auch der 75-jährige pensionierte „Schlachthofhallenmeister Frz. Xaver Baier“, der nachts auf dem Heimweg vom Fest in den Moosbach stürzte und ertrank. Bereits beim Aufbau des Festes kam es zu einem Unglücksfall: Zwei Arbeiter wurden beim Aufbau einer Rutschbahn schwer verletzt. Auch tollwutverdächtige Hunde, die das Fest besuchende Kinder bissen, sorgten für Aufregung. Die Not der Zeit mit der stetig steigenden Inflation schimmerte immer wieder durch: Der Stadtrat erließ für Freitag den Eintritt in den Festplatz, Jugendliche sammelten dort mit Opferbüchsen für bedürftige Menschen. Die Straubinger Brauerei Leser kündigte als „allergrösste Attraktion während des Volksfestes“ „keine Bierpreiserhöhung“ an und verkaufte in seinen Wirtshäusern das helle Vollbier für zwölf Mark. Die Maß helles Bier auf dem Festplatz hingegen, die 1912 30 Pfennig gekostet hatte, kletterte während des Festes von 19 auf bis zu 30 Mark. Der hohe Bierpreis hätte neben den Eintrittsgebühren, die für Auswärtige fünf Mark pro Tag und für Einheimische 15 Mark für das ganze Fest betrugen, laut „Straubinger Tagblatt“ die „Fröhlichkeit“ doch etwas gedämpft. Ein Erfolg war das Kinderfest am 16. August, das die Straubinger Kinder vom für viele Familien nicht leichten Alltag ablenken sollte. „Mindestens 1500“ Kinder, mit Kränzen auf den Köpfen, zogen begleitet von Pony-Wägen über den Stadtplatz auf den Hagen, wo sie nach „fröhlichen Spielen“ wie „Reigen, Wursthupfen, Sackhupfen, Dreischlag“ und turnerischen Vorführungen kostenlos mit dem Prater fahren oder in die Schaubuden gehen durften. Zudem wurden sie mit „Bretzen, Äpfeln, Schokolade, Pflaumen“ beschenkt. Ein weniger positives Fazit zog es über das Aussehen des Festplatzes mit seinen leeren Flächen, den die vorhandenen Buden, Schau- und Fahrgeschäfte nur notdürftig und unzureichend füllten: „Das Fest selbst aber war kein Schaustück in dem Sinne, als wäre damit etwas ordentlich Schönes und Zugkräftiges geboten worden.“ Vor allem große Fahrgeschäfte waren vor den hohen Frachtkosten zurückgescheut; der bekannte Schausteller Hugo Haase aus Hannover erschien beispielsweise trotz Bewerbung und Zulassung mit Wasserrutsche und Wellenbahn doch nicht. Aus Kostengründen war auch beim Schmuck des Festplatzes gespart worden, „nur Tannenbäume“. Eine „Aufmachung wie vor dem Kriege“, wie das Fest von der Stadt beworben wurde, wurde jedenfalls nicht erreicht. Vielleicht sprach einige Jahre später deshalb der damalige Oberbürgermeister Dr. Otto Höchtl, der als junger Rechtsrat das Fest mitorganisierte, von einem „wilden Volksfest“. Und vielleicht galt deshalb erst das nächste Volksfest 1925 als echtes „herkömmliches“ Straubinger Volksfest - ähnlich wie nach dem Zweiten Weltkrieg, als die beiden kleinen Feste 1946 und 1947 nur als Vorspiel für das erste „wahre“ Volksfest 1949 gesehen wurden. Finanziell wurde das Volksfest kein Desaster, auch wenn die im Kostenvoranschlag veranschlagten Ausgaben von 550000 Mark schließlich auf 861505,74 Mark anwuchsen: Die Einnahmen waren um 23755, 96 Mark höher. Der Alltag aber holte die Straubinger rasch wieder ein: Die „Teuerungskatastrophe“ nahm ihren Lauf - bis die Maß helles Bier im November 1923 24360000000 Mark kostete! ♦ Quellen- und Literaturhinweis Protokolle des Festausschusses; Rep. II Abt. 6 Nr. 14/1922, Stadtarchiv Straubing; Straubinger Tagblatt 1922; Niederbayerischer Anzeiger 1922; Werner Friedrich, Der Not der Zeit zum Trotz - Volksfest 1922, in: Die fünfte Jahreszeit. 175 Jahre Gäubodenvolksfest, Straubing 1987 (Katalog des Gäubodenmuseums Nr. 11), S. 71-73. ♦ Belegschaft des Bierzeltes der Schlossbrauerei Moos mit Max Gastl als Festwirt auf dem Volksfest 1922. Stadtarchiv Straubing PK 3012 ♦ Anzeige von der Bierhalle der Schloßbrauerei Moos im Straubinger Tagblatt. ♦ Volksfest-Plakat 1922 (Stadtarchiv Straubing). ♦ Anzeige des Velozipedclubs, in: Straubinger Tagblatt v. 13. August 1922. 25 Gäubodenvolksfest 2022

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