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6 ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG, 29./30. 10. 2022 WWW.ABENDZEITUNG.DE MÜNCHEN „Mein Balkon ist mein Kraftwerk“ Von Nina Job Grad ist die große Wolke, die sich vor die Sonne geschoben hatte, weitergezogen. Für einen Augenblick fluten Sonnenstrahlen in die Wohnung von Thomas und Bärbel Sicka in Grafing bei München. Er sitzt am Esszimmertisch unter einer selbstgebauten Lampe und greift sofort zu seinem Smartphone. Die Sonnenstrahlen bringen seine Photovoltaik-Anlage draußen am Balkon auf Touren. Über eine App kann der 57-Jährige verfolgen, wie die Leistung ist. „Aktuell macht mein Balkonkraftwerk 59 Wattstunden“, sagt er lächelnd. Das Wetter ist zu durchwachsen. Zu Spitzenzeiten im Sommer klettert die Zahl auf fast 600. Die Waschmaschine läuft, wenn die Sonne den Strom produziert Das Ehepaar aus Grafing hat alles richtig gemacht, davon sind die beiden überzeugt. Vor einem Jahr haben sie sich ein „Solar-Stecker-Gerät“ angeschafft. Seitdem sind die Preise deutlich gestiegen. Außerdem gibt es immer wieder Lieferschwierigkeiten, viele Geräte werden in China hergestellt. Die Nachfrage ist riesig. Auch immer mehr Münchner wollen privat Strom erzeugen und damit die hohen Energiekosten mittelfristig reduzieren. Seit Oktober bezuschusst die Stadt die Anschaffung (s. unten). Seitdem haben bereits 444 Münchner einen Antrag auf Fördermittel gestellt. Die Sickas konnten ihr kleines Solarkraftwerk noch vergleichsweise günstig kaufen: 650 Euro haben sie für ein Set mit zwei 20 Kilo schweren Paneelen (à 375 Watt), einem Wechselrichter und Zähler gezahlt. Die Montage kostete 150 Euro. Eine Außensteckdose hatten sie schon. Davor holten sie die Zustimmung der Eigentümergemeinschaft ein. Für Mieter gilt: Vorab mit dem Vermieter klären. Die Montage übernahm ein Mitarbeiter der Energieagentur Ebersberg-München. „Das hat keine zwei Stunden gedauert“, erzählt Thomas Sicka. „Das Prinzip ist extrem einfach. Spektakulär unspektakulär.“ Die Solar-Module hängen nun an Haken, die Halterungen für Blumenkästen ähneln, aber deutlich stabiler sind. Schließlich musste die Anlage noch beim Netzbetreiber angemeldet werden, und losging’s. Seit einem Jahr fließt der grüne Strom nun in die Steckdose auf dem Balkon und von dort direkt in den Haushaltsstromkreis der Sickas. Wenn die Sonne länger scheint, heißt es: Waschmaschine an! Oder: Geschirrspüler starten! Der SolarStrom mindert somit den Verbrauch des teuren Stroms, den die Sickas von ihrem Energieversorger beziehen. 620 Kilowattstunden hat die Anlage, die direkt nach Süden ausgerichtet ist, im ersten Jahr produziert. 2400 Kilowattstunden verbrauchen die Sickas etwa pro Jahr. Gemessen am neuen Tarif ihres Versorgers sparen sie im Jahr bis zu 260 Euro, hat er ausgerechnet. Doch nicht für jeden rentiert sich ein Balkonkraftwerk. „Wer den ganzen Tag weg ist, für den ist das nichts“, sagt der Rentner. Denn: Die Energie zu speichern, zahlt sich bei den kleinen Solar-Anlagen nicht aus. Das bestätigen Experten. Für Berufstätige kann aber eventuell eine Anlage Sinn machen, die morgens und abends Sonnenenergie nutzt, also OstWest-Ausrichtung hat. Es mag nur „Kleinvieh“ sein, was die Sickas an Erneuerbarer Energie erzeugen – es gibt ihnen auch ein gutes Gefühl: „Jede so erzeugte Kilowattstunde trägt dazu bei, dass wir von Kohlekraftwerken wegkommen“, betont Bärbel Sicka. Am Ende des Besuchs in Grafing erzählt sie der AZ noch eine Anekdote. Einmal rief ihr Mann von unterwegs aus an, sagte lachend: „Bärbel, jetzt kannst du die Waschmaschine anschmeißen!“ Obwohl er fast 200 Kilometer entfernt war, wusste er, dass daheim die Sonne schien. Und wenn sie nicht scheint, heißt es bei den Sickas auch schon mal: „Heute wird noch nicht gewaschen. Morgen wird das Wetter besser.“ Solarmodule passen auch auf Terrassen, Garagen oder Schuppen – und sind gefragt wie nie. Seit einem Jahr erzeugt Thomas Sicka selbst Strom. Ein Besuch Thomas Sicka ist stolz auf sein Balkonkraftwerk. Wie viel Energie die Photovoltaik-Anlage erzeugt, verfolgt er mehrmals täglich über eine App auf seinem Handy. Fotos: Sigi Müller So schaut es zwischen der Balkonbrüstung, die bei dem Grafinger aus Beton ist, und dem Photovoltaik-Modul aus. Anfangs waren einige Nachbarn gegen diesen Anblick. Inzwischen haben es ihm mehrere nachgemacht – und ebenfalls Solarmodule am Balkon. Neu: Die Stadt München zahlt bis zu 240 Euro dazu Stecker-Solargeräte (auch Plug-and-Play oder Balkonkraftwerke) sind kleine Photovoltaik-Anlagen, die Sonnenlicht in Strom umwandeln. Die Stadtwerke München (SWM) und die private Initiative „#MünchenSolar2030“ beantworten die wichtigsten Fragen. Für wen macht eine Mini-Solaranlage Sinn? Für Familien, die tagsüber kochen, waschen, den PC nutzen. Genauso für Rentner, Menschen im Homeoffice oder Gewerbe wie Gaststätten, wo mittags viel Strom gebraucht wird. Zudem für alle, die mittags die Spül- oder Waschmaschine laufenlassen, zählt die Initiative „Solar2030“ auf. Ist nur eine Ausrichtung nach Süden tauglich? Eine Ausrichtung der Anlage nach Südost, Süd oder Südwest wird als optimal angesehen. Gebäude und Bäume sollten keine Schatten werfen. Reicht der erzeugte Strom für den ganzen Haushalt? In der Regel nicht. Aber er reduziert die Stromkosten, da er einen Teil der täglichen Grundlast wie Kühlschrank, Tiefkühltruhe, Standby-Geräte und andere abdecken kann. Wie kann ich berechnen, wie viel Strom und Geld ich einsparen kann? Die SWM empfehlen die Seite der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin: azmuc.de/a/3TKml4a Wie leistungsstark darf ein Stecker-Solargerät sein? Maximal 600 Watt-Peak (Wp) pro Zähler. Was braucht man außer den Solar-Paneelen noch? Eine Zweirichtungsmessung oder eine moderne Messeinrichtung mit Rücklaufsperre. Tut’s eine normale Steckdose? Nein, laut SWM muss es ein Wieland Stecker sein, der von einem Profi-Elektriker angebracht worden ist. Muss ich die Anlage melden? Ja, bei der Bundesnetzagentur und beim Netzbetreiber. In München sind das die Stadtwerke: azmuc.de/a/3TLy1DQ Gibt’s Zuschüsse? Ja, seit Oktober fördert die Landeshauptstadt den Kauf und die anschließende Installation von „steckbaren Photovoltaik-Stromerzeugungsgeräten“ bis zu einer Leistung von 600 Watt-Peak (Wp) je Wohneinheit. Die Geräte müssen die Sicherheitsstandards der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS) erfüllen. Wer genau kann die Förderung beantragen? Privatpersonen, die im Stadtgebiet München Ihren Hauptoder Nebenwohnsitz haben, können den Förderantrag stellen. Sie müssen ihren Wohnsitz in der Wohneinheit haben, in der das Gerät installiert und an das Hausnetz angeschlossen wird. Wie viel Geld gibt’s? 40 Cent je Watt Peak (Wp) für maximal 600 Wp je Wohneinheit – bis zu 240 Euro. Wo stelle ich den Antrag? Über azmuc.de/a/3FtrBoR Der Link führt zum offiziellen Online-Portal der Stadt. Wie lange dauert es, bis ich das Geld bekomme? Laut Klimaschutzreferat wird ab Januar 2023 ausgezahlt. Bekomme ich auch Geld, wenn die Anlage schon läuft? Nein. Das Prinzip lautet: „Antrag vor Auftrag“. Haben Balkonkraftwerke auch Nachteile? Überschüssiger Solarstrom kann nicht genutzt werden. Ihn zu speichern, rentiert sich in der Regel nicht. Was mache ich, wenn der Vermieter nicht zustimmt? Solch ein Fall landet demnächst vor Gericht. Volker Rastätter, Sprecher des Mietervereins, geht davon aus, dass der Mieter gewinnt. Rastätter hält eine Verweigerung des Vermieters für unberechtigt. Ausnahme: bei denkmalgeschützten Gebäuden. Nina Job Für wen lohnt sich eine kleine Solaranlage? Wie komme ich an den Zuschuss? 16 Tipps Regionaler geht es nicht: Wie grüner Stromzu Hause durch Photovoltaik möglich wird PRIVATE INITIATIVE Bürger helfen Bürgern: Hier gibt es tatkräftige Unterstützung gründet mit dem Ziel, die Energiewende „von unten“ voranzutreiben. Fast 40 aktive Mitglieder helfen ehrenamtlich bei der Planung und Installation der kleinen Kraftwerke. Auch Sammelbestellungen werden organisiert – was die Preise drückt. Bötel: „Derzeit dauert es ein bis zwei Monate, bis das Kraftwerk hängt oder steht.“ Infos, Musteranträge und Hinweise auf Info-Veranstaltungen unter: muenchen.solar2030.de Der Haidhauser Gitarrenlehrer Bernd Bötel und die Historikerin Uli Schwarz haben 2020 die private Initiative „#MünchenSolar2030“ ge-

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