14 Perspektiven Jeder Anruf und jede Sekunde zählt Christian Siewert arbeitet als Leitstellendisponent bei der Integrierten Leitstelle in Straubing Systemrelevante Berufe gab es schon immer, nicht erst seit Corona. Christian Siewert hat einen dieser Jobs, der paradoxer nicht sein kann. Denn als telefonische Anlaufstelle für Hilfesuchende ist man dankbar, dass es sein Team gibt, hofft aber gleichzeitig auch, dass man es selten oder nie braucht – denn es nimmt alle eingehenden Anrufe der Notrufnummer 112 entgegen. Das Telefon klingelt und das Gespräch ist sofort angenommen. Mit bereits leicht Verletzten ist im Stadtgebiet eine körperliche Auseinandersetzung im Gange. Innerhalb kürzester Zeit sind die Informationen abgefragt, ein Rettungswagen rausgeschickt und der Anrufer an die Polizei weitergeleitet. All das passiert in wenigen Sekunden. Dank jahrzehntelanger Erfahrung weiß Siewert, was er zu tun hat. Ein essenzielles Wissen, denn Menschenleben werden nicht erst im Rettungswagen oder durch Löschfahrzeuge gerettet. Das beginnt schon früher – in der Integrierten Leitstelle in Straubing (ILS). Denn die entsprechenden Einsatzfahrzeuge müssen erst eingeteilt und schnellstmöglich zum Ort des Geschehens geschickt werden. Dafür müssen die Mitarbeiter viel beachten, wissen und vor allem schnell handeln. Siewert sitzt an seinem Arbeitsplatz vor fünf großen Monitoren, die ihm sämtliche wichtige Informationen wie Kartenmaterial, Bettenbelegung im Krankenhaus und Standorte von Einsatzwägen liefern. Auch kleinere Touchscreens, die ihm eine Schnellwahl zu Polizei, Krankenhäusern oder Feuerwehren ermöglichen, sind vorhanden. Siewert blickt auf eine lange Karriere im Rettungsdienst zurück. Nach dem erfolgreichen Abschluss einer Schlosserlehre arbeitete er zunächst weiter im Maschinenbau. Parallel hat er sich in seiner Freizeit für mehrere Jahre zum Ersatzdienst beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK) verpflichtet und zum Rettungsdiensthelfer ausbilden lassen. Danach arbeitete er sich, nun festangestellt beim BRK, vom Rettungssanitäter Der Technik ist das ganze Team dankbar. Sie hat vieles verbessert. Für die ILS wie auch für die Hilfesuchenden. Früher musste man alle Anrufe händisch weiterleiten, Karten selbst lesen und die Wochenenddienste der Ärzte auswendig wissen. Heute werden die Mitarbeiter von einem computergestützten Leitstellensystem unterstützt. Das System sorgt für die Archivierung, alarmiert die ausgewählten Fahrzeuge und liefert relevante Informationen. Durch ein Kartensystem kann sich sofort ein Überblick über den Einsatzort und die Standorte der Fahrzeuge verschafft werden. So kann Siewert auch koordinieren, ob die Einsatzkräfte ihre nötigen Pausen einhalten, um fit und einsatzbereit zu sein. Wenn es ruhig ist, geht es den Menschen gut Kurze Verschnaufpausen nehmen er und sein Team gerne an. „Wenn es ruhig ist, heißt es, dass es den Menschen gut geht.“ Unachtsamkeit kann er sich aber nicht erlauben. Es wird immer konzentriert gearbeitet, denn schon beim nächsten Anruf zählt wieder jeder Klick, jede Sekunde und das richtige Verhalten. Denn auch schwierige Situationen wie Erste Hilfe und Reanimationsanweisungen per Telefon oder Seelsorgevermittlung für traumatisierte Anrufer müssen sofort erfolgen – im Kopf innerhalb von wenigen Momenten auf die jeweilige Lage umgeschaltet werden. Nach Feierabend versucht Siewert Abstand von den Einsätzen zu gewinnen, gerade wenn Schlimmes passiert ist. Es geht nie komplett an einem vorbei. „So abgebrüht ist keiner“, sagt er. Trotzdem müsse man eine „professionelle Distanz“ zum Job wahren. Auch wenn der schwierigste Fall eintritt und man für Bekannte oder Angehörige einen Rettungswagen organisieren muss. Für den Ausgleich zum Arbeitsalltag helfen Siewert seine Hobbys, wie etwa die Jagd. Sie verschaffen ihm wieder einen freien Kopf. Der ist auch nötig, denn schon am nächsten Tag warten wieder neue Anrufe von Hilfesuchenden. Thomas Heigl ist. Die Hemmschwelle, sofort den Notruf zu wählen, ist mit dem Handyzeitalter gesunken, sagt Siewert. Das Aggressionslevel dafür gestiegen. Das beschert der ILS kuriose Anrufe. In Siewerts Karriere gab es davon reichlich. „Viele Geschichten könnte ich noch nach Jahren auswendig“, sagt er. Etwa die eines Mannes, der um drei Uhr morgens wegen eines eingerissenen Zehnagels einen Krankenwagen anforderte. Oder eine Gruppe angetrunkener Jugendlicher, die den Notruf mehrmals mit einem Pizzalieferdienst verwechselte. Situationen wie diese müssen diplomatisch gelöst und unfreundlichen Anrufern Paroli geboten werden. Schnelle Arbeitsabläufe durch verbesserte Technik Zum Schutz der Mitarbeiter vor möglicher Bedrohung werden sämtliche Gespräche aufgezeichnet und archiviert. nisse, sollte man sich für eine Karriere bei der ILS entscheiden. Das Wissen über Brücken oder an welchem Ort Einsatzfahrzeuge bereitstehen, die die kürzesten Wege haben, kann lebensentscheidend sein. Eine Rettungsdienst- oder Feuerwehrausbildung ist Pflichtvoraussetzung. Siewert rät Interessierten zusätzlich Stressresistenz, gute Englischkenntnisse, Teamfähigkeit und Lernwillen – vor allem im Bereich Medizin. 45-StundenWochen mit möglicher Bereitschaft, Schichtdienst und Wochenendarbeit gehören zum Alltag. Es wird viel verlangt, da die Verantwortung hoch ist. Als Leitstellendisponent sollte man gefestigt und mental stabil sein. Denn neben Notfällen muss man sich auch mit unverschämten oder banalen Anrufen auseinandersetzen. Die Mitarbeiter der ILS entscheiden bei jedem Anruf, welche Mittel bei einem Einsatz in Frage kommen – und ob dieser überhaupt nötig bis zum stellvertretenden Schichtführer in München hoch. Anfang der 90er Jahre kehrte er als erster anerkannter Rettungsassistent Niederbayerns wieder zurück in die Heimat. Stadt Straubing, Deggendorf, Straubing-Bogen und Regen Seit 1996 ist die ILS sein berufliches Zuhause. Diese ist rund um die Uhr besetzt und lenkt alle Einsätze des Rettungsdienstes. Seit 2010 auch den der Feuerwehr, des THW, der Luft-, Wasser- und Bergrettung und der ehrenamtlichen Helfer. „Alles was die Polizei nicht macht, machen wir“, sagt Siewert. Die Leitstelle in Straubing ist neben der Stadt selbst noch für die Landkreise Deggendorf, Regen und Straubing-Bogen zuständig. Das entspricht etwa einer Fläche von 3100 Quadratkilometern. Ein großer Bereich, in dem viel passiert. Daher empfiehlt Siewert gute OrtskenntChristian Siewert an seinem Arbeitsplatz in der Integrierten Leitstelle in Straubing Foto: Thomas Heigl Milchtechnologe (m/w/d) Interesse? Dann mach ein Praktikum! 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