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espresso Steffen Kopetzky, wer war Larissa Reissner? Sie war das It-Girl der Petersburger Literatenszene nach 1900, später nannte man sie die „Pallas Athene der Revolution“. Aber der Reihe nach: Aus deutsch-polnischer Familie stammend, gehörte sie zur intellektuellen Elite des späten russischen Kaiserreichs. Erzogen wurde sie in der verfeinerten Lebensform des Adels, doch aufgewachsen war sie bescheiden, im politischen Exil in Berlin. Mit fünfzehn veröffentlichte sie erste literarische Arbeiten, bald unterstützte sie aktiv die Bolschewiken imOktoberputsch 1917, wurde Kommissarin imBürgerkrieg. Sie war Botschafterin in Afghanistan, schrieb Reportagen für die wichtigsten sowjetischen Zeitungen und Geheimberichte für die KOMINTERN. Dazu war sie eine charismatische Schönheit, die alle faszinierte – mit anderenWorten: Sie war so etwas wie die strahlende Verkörperung einer neuen Zeit. Wie sind Sie auf diese Frau, auf diesen Stoff gestoßen? In meinemAfghanistan-Roman „Risiko“ tritt Oskar Niedermayer auf, eine historische Figur. Später erfuhr ich, dass Niedermayer in den zwanziger Jahren eine wichtige Rolle bei der geheimen Zusammenarbeit zwischen der deutschen Reichswehr und der Roten Armee spielte. Dieses Kapitel in den deutsch-russisch-sowjetischen Beziehungen war mir gänzlich unbekannt gewesen. Bald tauchte Karl Radek auf, Lenins Deutschland-Spezialist und der Hauptverantwortliche für den kommunistischen Revolutionsversuch in Deutschland von 1923. Radek war zu dieser Zeit der Geliebte von Larissa Reissner. So wurde ich auf sie aufmerksam. „Damenopfer“ erzählt also genau die historische Geschichte nach? Nein, denn es gibt einfach historische Leerstellen, wo wir nicht wissen, was sie da gemacht hat. Und dort muss Dichtung der Geschichte unter die Arme greifen. Doch wie immer folgte ich auch hier der Regel, nichts zu erfinden, was demGeist der Historie widerspräche, so dass sich die Leserin und der Leser vertrauensvoll auch auf dem fiktiven Grunde bewegen kann. Was hat es mit demTitel „Damenopfer“ auf sich? Einerseits ist mir aufgefallen, wie oft der Begriff des Opfers in den Aussagen und Selbstbeschreibungen der frühen Revolutionäre auftaucht. „Sich opfern für dieWeltrevolution“ – das war keine hohle Phrase, sondern Ausdruck ernstgemeinter Entschlossenheit. Und Larissa opfert ja tatsächlich einiges, in ihremLeben wie auch im Roman. Andererseits gibt es die geläufige Metapher für das Ringen um dieWeltherrschaft als „Großes Schachspiel“. Und beim Schach ist das „Damenopfer“ die ganz hohe Kunst, um den Gegner in die Irre zu führen und ihnMatt zu setzen. STEFFEN KOPETZKY ÜBER SEINEN NEUEN ROMAN DAMENOPFER, DER DAS LEBEN DER RUSSISCHEN REVOLUTIONÄRIN LARISSA REISSNER BELEUCHTET Die Handlung von „Damenopfer“ umfasst die Jahre 1905 bis 1948, konzentriert sich aber auf die Zwanziger. Die kennen wir hauptsächlich als die Goldenen, die Roaring Twenties … … die aber nicht nur imNachtleben wild waren, sondern auch in der Politik. 1923 etwa war für Deutschland das absolute Krisenjahr. Im Januar besetzten Frankreich und Belgien das Ruhrgebiet, worauf die Reichsregierung den passivenWiderstand anordnete. Der wiederum ruinierte die Staatsfinanzen vollends. Die berüchtigte Hyperinflation – die „100-Milliarden-Mark-Scheine“ – war die Folge, vielleicht haben wir wegen ihr bis heute so eine Angst vor der Teuerung. Die noch ganz junge Republik zeigte Auflösungstendenzen, Bayern spielte mit 9

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