24 Impulsgeber Landkreis Cham Ostbayern und Westböhmen begegnen sich Kappenberger und Braun war eines der ersten Unternehmen, die sich in Tschechien angesiedelt haben Die meisten Menschen unter 40 Jahren können sich vermutlich nicht oder nur vage daran erinnern, dass Deutschland eine Fahrt ins benachbarte Ausland nicht so einfach war. Ist es heute selbstverständlich, mal eben kurz zum Tanken oder Zigaretten kaufen über die Grenze zu fahren, war bis vor 35 Jahren eine Reise in die Tschechoslowakei – dem heutigen Tschechien – nicht so einfach. Strenge Grenzkontrollen und die ständige Möglichkeit – auch ohne erkennbaren Grund – gefilzt zu werden standen auf der Tagesordnung. Einer jedoch ließ sich von eventuellen Schwierigkeiten nicht abhalten und hat mit Weitsicht und Mut schon früh in das 20 Kilometer entfernte Nachbarland expandiert: Josef Kappenberger, Mitbegründer des Elektrounternehmens Kappenberger und Braun. Anfang 1989 erste Kontakte Schon Anfang 1989 knüpfte er erste Geschäftskontakte in die damalige Tschechoslowakei. „Das war eine andere Welt“, sagt Max Neumeier, Neffe von Josef Kappenberger und von Anfang an als Verantwortlicher für die Realisierung der Expansionspläne dabei. „Josef Kappenberger vereinbarte für die letzten Märztage 1989 eine Reihe von Terminen und machte sich mit einer Dolmetscherin und mir auf den Weg nach Prag.“ Gesprächspartner waren unter anderem große landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften mit einer Lizenz für Außenhandel, Pressevertreter, zukünftige Mitarbeiter sowie diverse Leute mit guten Kontakten. „Bei diesen Gesprächen wurde zum einen deutlich, wie gut mein Onkel diesen Schritt überlegt und vorbereitet hatte und wie wichtig es andererseits war, an die jeweils richtigen Kontakte heranzukommen. Denn nicht nur Offizielles, sondern auch Inoffizielles konnte hier in Erfahrung gebracht werden. Es war eben eine andere Zeit.“ Der zukünftige Markt zeichnete sich bei den Gesprächen schon deutlich ab. Eine Riesennachfrage und entsprechende Umsätze waren zu erwarten – das Angebot zur Nachfrage würde K+B liefern. Dafür brauchte das Unternehmen zunächst einen Partner, der die importiere Ware in der CSSR verkaufen durfte: die staatliche Außenhandelsorganisation Tuzex. Deren Aufgabe war es, für ausländische Firmen in der Tschechoslowakei Geschäfte zu vermitteln. Im Mai 1989 erfolgte die Vertragsunterzeichnung. Damit hatte das Chamer Unternehmen jenseits der Grenze einen verlässlichen, staatlich autorisierten Partner, über den Warenverkauf, Werbung und Zahlungen abgewickelt werden konnten. „Punkt 13 in dem gemeinsamen Abkommen spricht Bände über das herangehen an diese Kooperation“, schmunzelt Neumeier. Dort steht: „Streitfälle lösen die Vertragsparteien vor allem auf freundschaftlichem Wege.“ Ein Vertrag auf Vertrauensbasis, trotz jahrzehntelangem Kalten Krieg. Konkret lief die Zusammenarbeit so ab: Tuzex schickte Sammelbestellungen nach Cham und K+B lieferte einmal wöchentlich. Von Cham und Regen aus fuhren die betriebseigenen Lkws über die Grenze nach Prag. Im Laderaum stapelten sich die bestellten Fernseher, Videogeräte, Haushaltsgeräte und so weiter. Weil sich die Lieferungen auch aufgrund von Zollformalitäten und Bearbeitung im Schneckentempo teils bis zu drei Monaten hinzogen, begann K+B ab 1990 Musterwaren in größerer Menge vorab in ein Zollfrei-Lager von Tuzex in der Nähe von Prag zu liefern. Zwei Verkaufsstellen in Prag Im Herbst 1990 erfolgte der nächste Schritt: In Prag wurden in Zusammenarbeit mit Tuzex zwei Verkaufsstellen eröffnet. Diese wurden nach modernsten westlichen Standards eingerichtet und das zukünftige Personal in Cham vollumfänglich geschult. Bei der Eröffnung der beiden Läden im November standen die Leute Schlange. Doch wie waren die tschechischen Kunden auf das Geschäft und die Neueröffnung aufmerksam geworden? Kappenberger und Braun hat von Anfang an auf eine gezielte Werbekampagne gesetzt, die landesweit für ein positives Image der Firma aus dem Westen sorgte. Sei es durch Anzeigenserien in Tageszeitungen, riesige Werbebanner an Autobahnbrücken, in Fußballstadien und bei Radrennen oder Fernsehspots, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Das mag in der heutigen Zeit nicht ungewöhnlich wirken, aber wie in den meisten kommunistischen Ländern war auch in der CSSR Warenwerbung im Straßenbild und im Alltag eher ein Fremdkörper und dort, wo sie ab 1989/89 auftauchte, entsprechend augenfällig. „Auch Václav Havel, der erste demokratisch gewählte Präsident der CSFR nach der samtenen Revolution erstand im Sommer 1991 bei K+B eine Stereo-Anlage und einen Videorekorder“, erzählt Neumeier nicht ohne stolz. Im Verlauf von nur zwei Jahren verwandelte sich die CSSR in die föderative demokratische Republik CSFR und ebnete auch gesetzlich den Weg für die freie Marktwirtschaft. Im Zuge der Privatisierungen kam Ende 1991 auch das Ende der Tuzex-Verkaufsstellen. Kappenberger und Braun übernahm die Standorte, gestaltete sie nach dem Corporate-Design der expert-Gruppe und begann mit dem Verkauf gegen Landeswährung. Das Unternehmen baute ein eigenes Händlernetz für Groß- und Einzelhandel auf und eröffnete fast wie am laufenden Band weitere K+B Elektromärkte und Servicestellen unter anderem in Prag, Bratislava, Kosˇice, Pilsen, Holýsˇov und vielen weiteren Städten. Nötige Ersatzteile wurden aus Cham und Regen geliefert, tschechische Techniker vor Ort eingestellt und in Ostbayern mit Chamer K+B Know-how geschult. Ein weiterer Meilenstein war 1991 die Gründung der Kappenberger und Braun Elektrotechnik s.r.o. in Pilsen, mit dem gleichen Leistungsspektrum im Bereich Elektrotechnik wie in Deutschland. Allein dieser Anriss der ersten zwei bis drei Jahre der Expansion nach Tschechien zeigen, dass Josef Kappenberger seiner Zeit voraus war. Er hat das Unternehmen K+B mit Intuition, Engagement und Ideenreichtum weit gebracht – ein wahrer Impulsgeber. -redDas Gebäude der Kappenberger und Braun Elektrotechnik s.r.o. in Pilsen. Fotos: K+B Cham Max Neumeier, Dolmetscherin Nadja Schlecht und Josef Kappenberger in Prag.
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