espresso Magazin im Februar
POLITIK 97 Wenn man sich mit seiner politischen Stim- me vorrangig für Nachhaltigkeit, Umwelt und Klimaschutz einsetzen will, hat man als Wähler die Wahl zwischen den Grünen und der ÖDP. Wo sind die stärksten Unterschiede? Warum ist die ÖDP die bessere Alternative und nicht nur „die andere grüne Partei“? In Ingolstadt sind wir im ökologischen Bereich nur sehr gering un- terschiedlich. Der größte Unterschied ist, dass wir weniger glauben, dass durch Technologie alle Um- weltprobleme gelöst werden können. Ansonsten unterscheiden wir uns im sozialen Bereich. Für uns ist das Thema Bildung sehr wichtig. Eltern sollen die Möglichkeit haben, ihre Kinder selber zu erziehen. Wohingegen die Grünen die Politik der jetzigen Re- gierung unterstützen, die sagt, dass man für jedes Kind unbedingt einen Kita-Platz braucht, weil die Kitas eine gute Erziehung sicherstellen. Wir sind der Meinung, dass Eltern dieWahlfreiheit haben sollten, ob sie ihr Kind selber erziehen oder in eine Kita ab- geben wollen. Deshalb wollen wir ein Erziehungs- gehalt. Und parallel dazu bei den älteren Menschen ein Pflegegehalt. Das die Arbeit der Erziehung und der Pflege als Beruf würdigt. Warum wäre die Ausrufung des Klimanotstands in Ingolstadt richtig und wichtig? Sowohl die Grü- nen als auch wir haben im Stadtrat die Ausrufung des Klimanotstands gefordert. Er wurde nicht aus- gerufen. Stattdessen wurde nur beschlossen, die „Klimaschutzoffensive zu forcieren“. Wir haben die- ser Formulierung nicht zugestimmt. Ich bin der Mei- nung, dass das zu wenig ist. Eine Formulierungmuss so sein, dass sie aufweckt. Klimanotstand bedeutet: Bei allem was eine Stadt tut, muss der Klimaschutz betrachtet werden. Und zwar als vorderste Priorität. Erst danach kommen die anderen Argumente wie Wirtschaftlichkeit. Daher wäre es für uns genau das richtige gewesen. Auchmit demWissen, dass es ein überspitzter Begriff ist. Wie würde sich ein Klimanotstand auf die Arbeit im Stadtrat auswirken? Das wird gerade getes- tet. Für die Stadtrat-Sitzung im April werden zwei Anträge von der Verwaltung auf ihre Klimarelevanz bewertet. Und dafür gibt es bereits Spezialisten in der Verwaltung? Es wurden schon erste Planstellen in der Verwaltung besetzt, die jetzt für die April-Sit- zung einen Vorschlag machen, wie das abzuarbei- ten ist und auch feststellen, wie viel Arbeit das für die Verwaltung bedeutet und welches Know-How benötigt wird. Es ist in Ordnung, dass man es jetzt erst einmal testet. Aber die Verprobung erfolgt lei- der auch erst wieder im April. Das Thema ist auch wieder nach die Wahl verschoben worden, damit es imWahlkampf keine Rolle mehr spielt. Ingolstadt hat durch den CORRECTIV-Bericht (29.7.19), den Stempel „Bürgerkonzern“ weiter eingedrückt bekommen. Es wird von Intrans- parenz und Korruption gesprochen. Welche Maßnahmen würden Sie ergreifen, um das negative Image zu beseitigen und Ingolstadt wieder in eine andere Richtung zu lenken? Rein für das Image der Stadt kann man klassische öffent- lichkeitswirksame Maßnahmen ergreifen, die das Vertrauen in die Verwaltung wieder steigern. Wie die Compliance-Richtlinie, die schon beschlossen wurde aber noch nicht fertig ist. Dazu gehört natür- lich auch ein Livestream aus dem Stadtrat. Am bes- ten per Video und mit Mediaarchiv. Und natürlich müssen die Prozesse in der Verwaltung transparen- ter gemacht werden. Damit Entscheidungen in der Verwaltung für jeden nachvollziehbar sind. Die Angriffspunkte für Bestechung sind vor allem in der obersten Ebene der Verwaltung. Hier wäre ein Transparenzregister sinnvoll, das offenlegt, welche Unternehmen mit welchen Führungskräften in der Stadtspitze und Verwaltung sprechen, um mögliche Verdachtsfälle transparent zu machen. Das alles sind Maßnahmen, die man möglichst schnell in Angriff nehmen sollte. Wo sehen Sie die ÖDP auf dem politischen Spektrum? Ich persönliche sehe uns in der Mitte bzw. links davon. Ökologisch, konservativ, und sehr sozial. In welchen Bereichen konservativ? Im Bereich des Familienbildes. Familie ist etwas, das wir un- terstützen, in der Form, wie sie seit 100 Jahren be- steht. Wir sehen die Familie als eine Gemeinschaft, die sich auch selber um sich kümmern kann. Genau so das christliche Weltbild. Wir sind gegen gegen Sonntagsöffnungszeiten und für den Erhalt der kirchlichen Feiertage. Das Rund-um-die-Uhr-Arbei- ten und 24-Stunden-muss-die-Wirtschaft-Brummen ist definitiv nicht unser Weltbild. Die Arbeit ist nicht das Wichtigste im Leben. Was ist die Alternative dazu? Es gibt Wirtschafts- modelle wie die Gemeinwohlökonomie, die sagt, dass man sich als Staat oder Kommune nicht mehr darauf konzertriert, möglichst viel Geld zu erwirt- schaften, sondern darauf, dass es den Bürgern möglichst gut geht. Ein Konzept, über das man nachdenken kann, das noch einen Schritt weiter geht, ist die Postwachstumsökonomie. Hier geht es darum, auch mit weniger zufrieden zu sein und nur so viel in der Wirtschaft zu arbeiten, wie man Geld braucht, um die restliche Zeit zu füllen. Und dass man versucht, möglichst viel selber zu ma- chen, z.B. kaputte Geräte erst einmal selber zu reparieren. Inwiefern leben Sie nach diesen Leitsätzen? Ich überlege schon zweimal, ob ich ein neues Gerät brauche. Ich habe zum Beispiel knapp 10 Jahre überlegt, ob ich neue Ersatzteile für meine Stereoanlage kaufen soll. Bei solchen Themen überlege ich lange, bevor ich wirklich Geld aus- gebe. Leben Sie auch den Ansatz, nur so viel Geld zu erwirtschaften, wie man wirklich zum Leben braucht? Eine gewisse finanzielle Sicherheit ist mir schon auch wichtig. Ich arbeite so viel, dass ich und auch meine Kinder sicher für die Zukunft versorgt sind. Ich habe aber nie versucht, Karriere zu machen. Ab dem Moment, als ich den ökolo- gischen Weg für mich persönlich eingeschlagen habe, sind Ziele wie ein höherer Lohn oder ein beruflicher Aufstieg schlagartig unter den Tisch gefallen. In den Vordergrund gerückt sind das Ziel, dass ich einen sicheren Arbeitsplatz habe und dass ich meine Kinder sicher versorgen kann. Und dass ich Zeit für meine Kinder habe. Inzwi- schen ist es wieder einfacher geworden, dameine Kinder mittlerweile aus demHaus sind. Von daher erlaubt mir meine Frau jetzt, mehr Zeit in die Poli- tik zu investieren. Was wäre Ihre erste Amtshandlung als Oberbürgermeister? Ich würde bestimmte Ent- scheidungen, die in den letzten 6 Jahren falsch waren, revidieren. Zum Beispiel würde ich den Landschaftspflegeverband für Ingol- stadt einführen, der sehr einfach umsetzbar ist. Ich würde allgemein das Thema Umwelt- schutz stärken, indem ganz klare Richtlini- en für die Vergabe von Grundstücken ein- geführt werden, um die Grünringe und die Naturflächen in Ingolstadt zu erhalten. Danke für das Gespräch, Herr Köstler.
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