espresso - 06/2020
58 LEBEN Welche Einschränkungen gibt es für die Gesellschaft durch die Corona-Krise? Sri Lanka verfolgt im Kampf gegen Covid-19 die Methode „hammer and dance“. Schon bei den ers- ten bekanntgewordenen Fällen hat die Regierung drastische Maßnahmen unternommen, um die Verbreitung von Covid-19 einzudämmen. Die Schulen haben seit Mitte März geschlossen und seitdem herrscht auch absolute Ausgangs- sperre, Zuwiderhandlungen werden hart bestraft. Zweimal proWoche wird die Ausgangssperre für einen halben Tag gelöst, damit die Leute das Notwendigste besorgen können. Das Reisen zwischen den Provinzen und Distrikten im Land ist untersagt, es gibt nur einige Sonderregelungen und Genehmigungen, damit die Grundversor- gung im Land gewährleistet werden kann. Ein ausführlicher Bericht über Covid-19 in Sri Lanka von Michael Kreitmeir findet sich auf der Homepage von Little Smile. Was hat sich durch Covid-19 im Kinderdorf verändert? Welche Schwierigkeiten gibt es? Da wir mit 12 ha mehr als genügend Platz zum Spielen und Toben haben, frühzeitig genügend Vorräte angelegt haben und uns über soziale Kontakte bei mehr als 100 Menschen nicht beklagen können, trifft uns die Ausgangssperre im Kinderdorf nicht wirklich, im Gegenteil: Da das öffentliche Leben still steht, können Michael Kreitmeir und ich uns endlich ganz und gar den Kindern widmen. Natürlich ist es aber nicht leicht so viele energiegeladene Kinder mit ganz unterschiedlichen und individuellen Interes- sen und Vorlieben zur Freizeitgestaltung 24h, 7 Tage die Woche sinnvoll zu beschäftigen. Was macht dir bei deiner Arbeit im Kinderdorf Spaß, wo bestehen Herausforderungen für dich? K I N D E R S C H A R Annkathrin zaubert den Mädchen ein Lächeln aufs Gesicht Wenn ich mit einer kleinen Kindergruppe sehr individuelle Zeit verbringen kann, mich ganz auf den einzelnen einlassen kann und jeden von ihnen neu und von einer ganz anderen Seite kennenlernen kann. AmGeburtstag zum Beispiel darf das Geburtstagskind mit seinen Freunden Michael Kreitmeir und mich an diesem besonderen Tag im Alltag begleiten: Wir essen gemeinsam, erledigen Alltägliches und spielen. Unseren Kindern diese sehr familienähnlichen Momente zu ermöglichen und ihre Freude darüber zu spüren, das macht mir ammeisten Spaß und gibt mir sehr viel Kraft für den Alltag. Als emanzipierte, von westlicher Kultur geprägte Frau, stehe ich mit dem uralten Frauenbild der hiesigen Kultur und allemwas daraus resul- tiert vor meiner größten Herausforderung. Ich schaue an einer hohen Mauer hoch, die über Jahrhunderte und Generationen hinweg in den Köpfen der Menschen aufgebaut wurde, würde sie am liebsten mit einen Schlag einreißen und muss doch akzeptieren, dass es meine Aufgabe ist einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass sie Stein für Stein allmählich abgetragen wird. Ich sehe, dass in einem Land, das in seiner rasend schnellen Entwicklung gerade mitten drin steckt zwischen den uralten Traditionen und Kultur und herein- preschender Modernität , vor allem die Jugend verwirrt ist und nicht mehr weiß, wie sie sich verhalten soll. Ich nehme wahr, dass das alte Frauenbild mit von der Familie arrangierten Ehen ausgedient hat, dennoch funktionieren die Beziehungen meist nicht, fast jeder ist unglücklich in seiner Ehe, vor allem Frauen und Kinder, aber auch Männer leiden, was nicht selten in einem Selbstmord endet. Gleichzeitig weiß ich, dass man hier für das „westliche Model“ noch lange nicht bereit ist. Wenn man es nun wie wir sehr ernst nimmt, mit der Sorge um die uns anvertrauten Mädchen, dann tut man alles dafür die Jugendlichen bei ihrer Su- che nach ihrem eigenenWeg zwischen Kultur und Modernität zu unterstützen, einWeg, der nicht klar definiert ist und auch nicht immer Erfolg verspricht. Und irgendwann müssen wir die Mäd- chen loslassen, ziehen lassen in ihr eigenes Leben, in demwir sie nicht mehr beschützen können. Wir sind gezwungen zu akzeptieren, dass wir den jungen Frauen am Ende ihrer Zeit in Little Smile nur folgendes mit auf denWeg geben können: „Egal, was du falsch gemacht hast, egal wie ausweglos dir deine Situation später scheinen mag, egal wie sehr du von Verwand- ten und Nachbarschaft dafür verachtet wirst, bei uns steht dir die Tür immer offen.“ Wie hat dich die Arbeit bei Litt- le Smile verändert? Meine Arbeit ist mein Leben geworden und ist zugleich das pure Leben, das wir durch unsere energiegeladenen Kinder täglich spüren können. Wir führen ein sehr einfaches Leben und schon lange beschäftigt mich nicht mehr, was ich habe, sondern was ich jeden Tag versuche. Ich drehe mich nicht mehr nur um meine eigenen Person und meine eigenen Befindlichkeiten , wie ich es mir als Volontärin vor vielen Jahren als Erfahrung gewünscht habe. Die Sorge um die uns anvertrauten Kinder und die Geschichten der Menschen, die mir täglich be- gegnen, lassen das ständige Grübeln um eigene Be- dürfnisse weit in den Hintergrund treten. Ich habe aufgehört in langen Zeitabschnitten zu planen und zu denken, gerade in Sri Lanka ist sowieso „nur si- cher, dass nichts sicher ist“, wie Michael Kreitmeir zu sagen pflegt. Daraus resultierend nennt sich Michael Kreitmeir selbst einen „Momentesamm- ler“, der die geschenkten Momente voll und ganz auskostet, jeden einzelnen ernst nimmt, das Beste daraus macht und sie, wenn die Zeit gekommen ist, ziehen lässt. Darin ist er mir ein großes Vorbild, da mir selbst das Loslassen, gerade von erwach- sen gewordenen Kindern sehr schwer fällt. Das komplette Interview & weitere Fotos finden Sie auf espresso-magazin.de
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