espresso Mai 2021
3 mich wieder an die Erzählungen der Witwe erinnert und begonnen zu recherchieren. Aufgrund der Berichte der Zeitzeugen habe ich dann festgestellt, dass es sich um einen hervorragenden Romanstoff handelt. ESPRESSO: Warum hatten Sie das Gefühl, dass sich dieses Ereig- nis für einen Roman eignet? KOPETZKY: Zum einen ist da die Land- schaft. Monschau liegt wie eine Welt für sich ganz verwunschen hinter den sieben Bergen. Es ist eine sehr alte Stadt, in der man Blicke in eine Vergangenheit bekommt, die dort nie aufgehört zu haben scheint. Außerdem hat mich fasziniert, dass die Krankheit über ein Industrieunternehmen über Lieferwege aus Indien eingeschleppt wurde. Normaler- weise verortet man die Globalisierung und eine globalisierte Geschäftswelt bei uns in der Gegenwart. Aber angefangen hat das eben schon in den 50er- und 60er-Jahren. Hinzu kommen die Schilderungen der Zeit- zeugen, wie etwa des jungen Arztes, der beim Pockenausbruch mit dabei war. Als er mir von damals erzählt hat, zeichnete er kein dramatisches oder abschreckendes Bild von den Geschehnissen. Er erzählte mir, dass er das Ganze eher mit einem sportlichen Ehrgeiz angegangen war, als Aufgabe, die es zu bewältigen galt und der er sich gerne gestellt hatte. Diese Haltung, dieses Kämp- ferische, fast schon Ritterliche hielt ich für eine gute Voraussetzung für einen Roman. ESPRESSO: Wobei man dazu sagen muss, dass es gegen die Pocken damals schon einen Impfstoff gab, die Ausgangs- lage also eine andere war als vor Corona. KOPETZKY: Ja, die Pocken sind eine Krank- heit, mit der sich die Menschen Jahrtausende herumgeschlagen haben und mit der Imp- fung dann noch einmal 180 Jahre. Ich erzähle in Monschau eine Episode aus den letzten Jahrzehnten, in denen die Pocken überhaupt noch auf der Welt waren, quasi den finalen Kampf der Menschheit gegen diese Krankheit, bevor sie letztendlich ausgerottet wurde. ESPRESSO: Waren Sie selbst in Monschau, um vor Ort zu recherchieren? KOPETZKY: Nein, ich war erst dort, als ich mit dem Roman fertig war. Diese Vor-Ort-Re- cherche wird auch oft überschätzt. Viel wichtiger ist die geistige Reise in die Zeit und die jeweilige Situation. Da ist es manchmal sogar besser, wenn man noch kein Bild im Kopf hat, damit man sich die Imagination nicht durch etwas Vorgegebenes einschränken lässt. ESPRESSO: Trotzdem greifen wir alle in der Fantasie auf Erinnerungen zurück. Welche Erin- nerungen haben Sie während des Schreibens genutzt? KOPETZKY: Genutzt haben mir zum Beispiel ein paar Erinnerungen aus meiner Kindheit. MONSCHAU KULTUR 1 Steffen Kopetzky bei einem Besuch in Monschau | 2 Die Altstadt von Monschau, eingebettet in eine malerische Bergland- schaft | 3 Ein berühmtes Foto von dem Pockenausbruch in Monschau aus dem Jahr 1962 | 4 Eine Sumpflandschaft im Hohen Venn in der Nähe der Stadt Monschau 1 2 4 17 Foto: AdobeStock/ Alexander Foto: AdobeStock/ Vincent Foto: Verein für Heimatgeschichte und Dorfkultur Lammersdorf eV Foto: privat
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