espresso Mai 2021
Auch wenn das Geschehen in Monschau noch einmal zehn Jahre früher spielt, waren das die Erinnerungen, die am ehesten an die 60er-Jahre heranreichten. Eine Erinnerung war zum Bei- spiel die an meinen Vater, der Automechaniker war, wie er früher auf seinem Fahrrad imWinter zur Arbeit gefahren ist. Der typische Werkstatt- geruch, den seine Arbeitsklamotten versprühten. Einfach ein paar Stimmungsbilder, die gut zu der Geschichte passten. ESPRESSO: Sie zeichnen ein gewisses Bild von den 60er-Jahren, die Hauptfigruen hören Jazz und kennen sich mit Sartre und Camus aus. Was macht die 60er-Jahre für Sie aus? KOPETZKY: Die 60er-Jahre waren eine Zeit der Jugendlichen, die eine neue Welt wollten, ein neues Europa. Sie wollten die Schlachtfelder der Vergangenheit hinter sich lassen. Für sie war Europa ein Raum, in dem sie zusammenkommen wollten. Ein Aspekt davon war für sie die Musik, der Jazz, das war die Musik für die Progressiven, für die Studenten und für die Menschen, die sich eine neue Form des Miteinanders wünschten. Der wichtigste Musiker in der Zeit war Miles Davis, der selbst hochpolitisch war und sich mit Themen wie der Rassenproblematik intensiv auseinandersetzte. Deshalb spielt er auch im Buch eine wichtige Rolle als verbindendes Glied zwischen den zwei Hauptfiguren. ESPRESSO: In dem Roman behält die Wissenschaft stets die Kontrolle, auch wenn es anfangs so aussieht, als ob die Bevölkerung bzw. einzelne Personen den Pockenausbruch herunterspielen, um keine Einschränkungen hinnehmen zu müssen. War es Ihnen wichtig, ein starkes Bild der Wissenschaft zu zeichnen? KOPETZKY: Ich wollte unbedingt den Ärzten und Pflegern, allen Leuten, die ihre Gesundheit letztlich immer wieder aufs Spiel setzen, um anderen Menschen zu helfen, ein Denkmal setzen. Man findet immedizinischen Bereich so viel menschliche Größe, die leider zu selten gewürdigt wird. Man muss dazu aber auch sagen, dass es bei den Pocken leichter war, die Maßnahmen durch- zusetzen, die von der Wissenschaft gefordert wurden. Alle wussten, wie gefährlich diese Krankheit war und dass sie über Jahrhunderte hinweg die Menschen gepeinigt und gequält hatte. Ohne Impfung ist von drei Menschen einer gestorben, die Todesrate lag also bei 30 Prozent. Und das war den Leuten bewusst. Leugner gab es deshalb in dem Sinne damals nicht. Die Radikalität, mit der letztlich die Poli- tik der Wissenschaft das Protokoll übergeben hat, war deshalb auch eine ganz andere als in unserem Fall heute. 18 KULTUR ESPRESSO: Wie hat es sich angefühlt, die Geschichten von damals zu recherchieren und gleichzeitig in einer ähnlichen Situation zu ste- cken? Gab es Ihnen Hoffnung auf einen guten Ausgang oder machte es Ihnen Angst, dass wir mit dem Corona-Virus nicht klar kommen könnten? KOPETZKY: Ich war einerseits hypersensibel, was die ganzen Corona-Entwicklungen angeht. Ich hatte leichte hypochondrische Anfälle und habe das Virus bei mir selber das ein oder andere Mal ausgebrochen gesehen. Gleichzeitig war es einfach großartig, so einen Roman zu schreiben, der einem hilft, tief in diese Thematik einzustei- gen. ESPRESSO: Haben Sie durch Ihre intensive Auseinandersetzung eine Erkenntnis mitge- nommen, wie wir als Gesellschaft besser mit der Pandemie umgehen könnten? KOPETZKY: Je strikter und schärfer die Maß- nahmen sind, desto kürzer dauert eine Epidemie. Jeder Mittelweg führt dazu, dass es länger dauert, um ein Virus in den Griff zu bekommen. Aber das weiß vermutlich jeder, schwierig ist es, das auch so umzusetzen. Wir sind eben eine imGrundsatz sozialdemokratisierte Gesellschaft. Bei uns darf jeder mitsprechen. Deshalb sind wir in allem etwas schwerfällig. DenWeg, den China zum Beispiel gegangen ist mit drastischen Einschränkungen, das ist wohl die effizienteste Methode. Aber wir leben in einer Gesellschaft, die auf Kompromissen beruht und das finde ich auch gut. Jetzt in der Krise hat man eben gesehen, wo wir unsere Schwächen haben. ESPRESSO: Krieg wird in Ihrem Roman oft als Fortschrittstreiber dargestellt. Der Kampf gegen den Virus ist auch eine Art Krieg gegen einen unsichtbaren Feind. Was können wir daraus für die Zukunft lernen? KOPETZKY: Was man mit Sicherheit lernen kann, ist, global zu denken. Wir merken jetzt, dass es globale Phänomene gibt, die uns weltweit nicht in Ruhe lassen und bei denen man sich nicht ausklinken kann. Ein globales Bewusstsein, das wäre wichtig. Andererseits könnte man auch global denken und dann re- gional handeln. Das kann man ganz klar daraus lernen. Je kleiner, autonomer die Kreisläufe sind, desto weniger gefährdet ist eben die Ge- sellschaft. Das könnte man auch als Lösungs- ansatz für den Kampf gegen den Klimawandel mitnehmen. Wenn alle in kleinen Produkti- onskreisen vor Ort ihren Strom produzie- ren, wenn Warenketten regionaler gedacht werden, dann würde uns das wahrscheinlich etwas widerständiger machen und gleichzeitig den Planeten schonen. Wir müssen endlich unsere Verantwortung in der globalisiertenWelt erkennen. In der Hinsicht sind wir leider in ganz vielen PunktenWeltmeister im Verdrängen. Wir betreiben hier Mülltrennung, um unser Gewissen zu beruhigen, aber dann wird unser Dreck nach Südostasien verschifft und dort einfach irgendwo ausgekippt. Wir machen uns Sorgen, um unserenWald und unsere Bienen. Aber unsere Pharmariesen produzieren riesige Mengen Pestizide für die auf gerodetem Urwaldboden stattfindende, zerstörerische Landwirtschaft, etwa in Brasilien. Da gibt es so viele Bereiche, in denen wir glauben gut dazustehen, wenn man aber genauer hinschaut, sieht man, dass wir unsere Pro- bleme einfach nur in einen anderen Teil der Welt verschieben. Wir müssen über die Globalität der Probleme nachdenken und aufhören uns in die Ta- sche zu lügen. Wir müssen handeln. Bescheidener leben. Ressourcen schonen. Regional aktiv werden. ESPRESSO: Ihr Buch endet versöhnlich, das Gute siegt über das Böse, in jeglicher Hinsicht. Wie wichtig war Ihnen ein Happy End, gerade mit Hinblick auf die aktuelle Situation? KOPETZKY: Ich habe versucht mir vorzu- stellen, wie sich unsere Gesellschaft, wie wir uns alle im Frühling 2021 fühlen würden. Ich hatte eigentlich angenommen, dass wir alle ziemlich erschöpft sein würden durch die Pandemie und dass ein bisschen Trost und ein bisschen was fürs Herz ganz in Ordnung sein müsste. Es soll schon ein Buch sein, das tröstet und Hoffnung macht: Es wird enden, wir werden es schaffen und das Leben wird weitergehen!. Herr Kopetzky, vielen Dank für das Gespräch. ICH WOLLTE UNBEDINGT DEN ÄRZTEN UND PFLEGERN EIN DENKMAL SETZEN “
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